Das Murmeltier und der schwarze Tod

Ich lebe in einer Gesellschaft der kaputten Zähne. Jeder, den ich kenne, hat Ruinen im Maul. Tiefstes Schwarz, übernatürliches Gelb, schief, lose, abgesplittert, am Abfaulen oder einfach weg.
Dafür ist die Stimmung umso besser. Gestern Abend war ich beim Brantweiner, hatte mal wieder Lust, die versoffenen Arschlöcher zu sehen. Es tat gut, in die lachenden Rachen zu sehen, in denen Tod und Verderben zuhause sind. Ja, Mann, wenn du Probleme mit deinen Zähnen hast, dann geh zum Brantweiner!
Gestern jedoch hatten wir besonders viel Spaß. Einer kam herein, der bekannt war für die völlige Verderbtheit seines Gebisses. Wenn man ihn zum Reden brachte, hatte man unweigerlich das Gefühl, die Büchse der Pandora geöffnet zu haben und von nun an würden todbringende Giftschwaden aus seinen löchrigen Zähnen Kummer und Harm über die Welt bringen. Wir nannten ihn stets den „schwarzen Tod“. Und genau dieser alte Sack jagte uns gestern einen riesen Schrecken ein! Er kam still ins Lokal, grüßte niemanden, hockte sich einfach hin. Aber als er dann zu Lachen begann, zuckten wir alle zusammen! Du lieber Himmel, er hatte ein Gebiss wie ein junges Pferd! Kräftige, strahlend weiße Zähne, die die ganze Mundhöhle einnahmen und sogar noch die Bronchien wie die Kronleuchter in der Hofburg leuchten ließen! Ich wollte ihm schon mein Bier an die Birne werfen, weil mich sein Gebiss so erschreckte.
„Was soll das, Alter?“ Ein mürrisches Raunen ging durch den verrauchten Raum.
Dann erzählte er, dass er nach Ungarn gefahren ist und sich sein Gebiss hat machen lassen. Alles neu, alles künstlich. Unsere anfängliche Skepsis war bald durch betrunkenen Hohn wie weggeblasen, als sich herausstellte, dass er nun zwar schöne Plastikzähne hatte, aber diese bei jedem Wort auch einen witzigen Pfeifton erzeugten. Wir nennen ihn nun „das Murmeltier“.

Ich aas:
1 Krapfen

Die Zahnskyline von Dresden

Die Brotdose kann mich mal. Nun gibt es neue Aufregung im Hause. Denn heute war ich beim Zahnarzt. Nach zwanzig Jahren das Erstemal. Ich gehöre nämlich nicht zu der Sorte von Leuten, die, sobald ihnen ein Furz in der Wampe zwickt, zum Arzt flennen rennen.
Bis jetzt gab es auch keine Probleme mit meinen Zähnen. Ein paar sind schon rausgefallen, aber – mein Gott! – das kommt vom Alter. Nun bin ich aber doch zum Zahnarzt gelatscht, weil ich letztens zufällig einen Spiegel in die Hand bekam und mir meine Zähne ansehen konnte. Shit! Habe ich mich erschreckt! Meine Zahnskyline sieht wie Dresden nach dem Bombardement aus! Eine schwarze Ruinenlandschaft mit einem leichten Geruch von Verwesung.
Die Zahnärztin war sehr freundlich…. bis ich ihr gesagt habe, daß ich zuletzt vor zwanzig Jahren beim Zahnarzt war. Sie hob mit einem angewiderten „Nau Daunkschen!“ ihre Augenbrauen so hoch, daß man meinen konnte, sie würden sich gleich von der Stirn lösen und davonflattern! Sie näherte sich meinem offenen Maul wie ein Ritter, der in die Höhle des Drachen läuft. Ganz vorsichtig, das Visier des Helmes heruntergeklappt und den Bohrer zitternd vor sich gestreckt, um jederzeit alles Böse, das sich aus der Dunkelheit erhebt, niederstrecken zu können.
Aber letztendlich ist alles gut ausgegangen. Die Zahnärztin hat gar nichts gemacht. Sie hat mir nur gesagt, daß es fünf Löcher gäbe, die dringenst weggemacht werden sollten, die Weisheitszähne müssten rausoperiert werden und dann noch irgendwas unverständliches von Frisurenversiegelungen. Dann gab sie mir einen „Kostenplan“. Nachdem ich diesen Kostenplan beäugt hatte, war alles klar. Wir werden uns nie wieder sehen.

Ich aas mit den Resten der einst prächtigen Stadt Dresden:
1 Käsebrot
1 Nektarine
1 Kaffee
1 Muffin