Mutter des Krieges I

(Inhaltsverzeichnis)

Nachdem Vater spurlos verschwunden war, brachen schlimme Zeiten für Mutter und mich an. Ich wurde zu einer Großtante in ein kleines Städtchen gebracht. Es war jedoch nicht irgendeine Tante, sondern „die Tante“. Jeder in der Familie nannte sie „die Tante“. Sie war die kinderlose Gottmutter. Sie nahm die Sprösslinge der Familie bei ihr auf, um ihnen Anstand und Bildung beizubringen.
„Augustin, du wirst Arzt.“ Ich war zehn, meine Hoffnungen verloren.
Am liebsten erzählte Tante vom BDM, Bund deutscher Mädel, und vom im Krieg gefallenen ersten Ehemann. Ein Held.
Der zweite Ehemann war ein Reinfall. Kapitän der Meere, mit schicker Uniform. Er war oft monatelang nicht daheim und kam irgendwann gar nicht mehr zurück. Niemand weiß, wo er geblieben war. Es war auch besser so, meinte Tantchen, denn er war zwar ein durchaus brauchbarer Mann, als Gatte nicht die unglücklichste Wahl, hatte aber nichts im Kopf. Ein Seemann eben. Ich lernte ihn nie kennen, war aber von dem Gedanken fasziniert, zur See zu fahren. Lange Zeit unterwegs, kaum irgendwo angekommen, auch schon wieder weg. Kein Stillstand. Und wenn’s dir wo nicht gefällt, kehrst du nie mehr dahin zurück.
Es gab noch einen dritten Anwärter für die Ehe. Einen reichen amerikanischen Selfmade-Millionär, natürlich Jude, typisch. Er war so charmant, machte allerlei Geschenke und Anträge, doch Tantchen wollte nicht und nicht der Heimat den Rücken kehren. Er starb bevor es zu einer Entscheidung kam. Doch musste Tante ihm zuvor am Totenbette noch hoch und heilig schwören, keinen anderen Mann mehr in ihrem Leben zu nehmen.
Im Keller von Tantes Haus gab es einen finsteren Raum, hinter einem schweren dunkelroten Samtvorhang. Lange Zeit traute ich mich nicht, den Vorhang beiseite zu schieben, um zu sehen, was dort war. Ein Gewicht schien er zu tragen, das meine kindlichen Kräfte überstieg. Ich fragte Tante oft, bekam aber immer nur unbefriedigende Antworten. Es wäre der Raum mit dem Katzenfenster und dem Katzenclo.
Erst Monate später, als ich mutiger und der Vorhang leichter geworden war, schob ich ihn in einem Anfall von Erkundungsdrang doch mit aller Kraft zur Seite – Tante war gerade beim Einkauf. Ein unerwartet bestialischer Gestank fiel mich da an, mir wurde schwindelig! Zuerst sah ich nur ein kleines, stark verschmutztes, vergittertes Fenster, das eine kleine Öffnung für die Katzen hatte. Ich musste mir wegen des Geruchs die Hand vors Gesicht halten, meine Augen brannten und gewöhnten sich nur widerwillig an die Finsternis. Nach und nach erkannte ich, was sich in dem Kellerloch befand. Zwischen einer Unmenge an Katzenkot lagen lieblos verstreut Erinnerungsstücke herum.
Und dann durchfuhr es mich! Aus den Augenwinkeln sah ich einen großen Schatten neben mir. Mit einem erschreckten Sprung zurück fiel ich auf den Hintern. Da ragte etwas Grausames vor mir in der Finsternis empor: eine riesige Kleiderpuppe mit gewaltigen Brüsten! Bekleidet mit einer Uniform! Hemd, Krawatte, schwerer Mantel, hohe Stiefel, und eine Kappe oben drauf! Orden stachen mir in die tränenden Augen und zwei Blitze. Wie die gesichtslose Mutter des Krieges stand die Puppe über mir. Tot und übermächtig.

Dingsbums unser

Meine steinalte Großtante rief mich an – ich weiß nicht, sie muss an die 100 Jahre alt sein:
„August, ich will immer das Dings….. beten, zum Herrgott, aber mir kommt ja schon alles durcheinander. Und lesen kann ich ja nichts mehr gscheit. Ist alles so klein gedruckt…. aber…. und der Herr….. Dingsbums hat gesagt, du könntest mir das am….. Dingsbums machen…. größer…. wie heißt das noch…. Computer…. groß machen und drucken…. ja? Dingsbums…..“

Okay, ich machs. Ich werd meiner lieben Tante allerdingsbums eine vereinfachte Version schicken – eine, die sie nicht so schnell vergessen kann:

„Dingsbums unser,
der du bist im Dingsbums,
Dingsbums sei Dein Name,
Dein Reich Dingsbums,
Dein Wille Dingsbums,
wie im Dingsbums also auch auf Dingsbums.
Unser täglich Dingsbums gib uns Dingsbums,
und Dingsbums uns unsere Dingsbums,
wie wir Dingsbumsen unsern Dingsbums.
Dingsbums uns nicht in Dingsbums,
sondern erlöse uns von dem Dingsbums.“

Und ich aas und dingsbumse dem Dingsbums:
1 Dingsbums von der Dingsbums, die ich heute mal so richtig durchdingsbumsen werde.