Nachbarin III

(Inhaltsverzeichnis)

Nachdem ich die Schule verlassen hatte, trampte ich ein bisschen herum. Längere Zeit hielt es mich nur in der Wachau, wo ich tagsüber etwas in den Weinbergen half und am Abend mit alten Knackern in der heilen Welt des Heurigen versumpfte.
Im Spätherbst bin ich in die große Stadt. Wien. Ohne Geld, ohne irgendwas, ohne nichts. Es war damals meine große Bob-Geldof-Phase, ich hatte mir Augenbrauen und Brustwarzen rasiert und enge Lederhosen an. Schnell lernte ich am Bahnhof ein paar herumlungernde Leute kennen und schloss mich ihnen an.
Der Winter wurde eisig kalt und zusammen fror es sich weniger stark. Wir waren zu viert. Zwei Mädchen, zwei Burschen. Das eine der Mädchen, ungefähr so alt wie ich, sprach kaum. Und wenn, dann konnte man sowieso nichts verstehen, denn sie kam aus einem fernen Land – wir wussten nicht einmal, aus welchem. Der Bursche und das andere der beiden Mädchen wohnten zusammen in einem abbruchreifen Haus irgendwo im Süden der Stadt. In der Wohnung gab es nichts außer ein paar flohverseuchter Matratzen. Das stumme Mädchen und ich durften bei ihnen wohnen.
Wir taten nichts anderes, als uns mit irgendwelchem Zeug zuzudröhnen und zu vögeln. Die anfängliche Einteilung, wer mit wem wo, löste sich rasch auf. Spät am Vormittag erst trieb uns der Hunger aus den Betten. Ein guter Platz, um etwas herumzustreunen, befand sich gleich am Grundstück daneben. Dort standen ein paar Baracken, die von Jugoslawen bewohnt waren. Sie hausten dort dichtgedrängt mit ihren dicken Frauen und ihren rotznäsigen Kindern. Manche schenkten uns ihre Essenreste, manche verprügelten uns. So vergingen die Tage. Immer auf der Suche nach etwas und auf der Flucht vor etwas. Am Abend fing dann alles von vorne an.
Irgendwann kam es zu Streitereien. Der Bursche begann davon zu schwafeln, was einen echten Punk ausmachte, wofür er lebte, wie er lebte und von Anarchie und totgeschissener Gesellschaft. Er färbte sich die Haare und ließ sie mit enormem Aufwand vom Kopf abstehen. Als seine Alte schwanger wurde und er solange auf sie eindrosch, bis sie das Kind verlor, erkannte ich, was er sich wirklich vorstellte. Ich zog weiter.
Die Gegend, in der wir damals zuhause waren, existiert nicht mehr. Alles plattgewalzt und eine neue Stadt, eine „schönere“, darauf errichtet. Der Bursche ist Automechaniker geworden, seine Freundin an einer Überdosis gestorben. Das stumme Mädchen traf ich fünfzehn Jahre später wieder.

Der Kronprinz ohne Hirn und Adel

In Kürze werde ich einem Attentat zum Opfer fallen. Die Nachbarschaft ist ein Krisenherd, ein Pulverfass, die Konflikte spitzen sich zu.
Erinnerst du dich trotz deiner Demenz an den Stoßstangenfetischisten? Das war der seltsame Mensch, der mir durch Lügen und falsche Zeugen eine Strafe besorgte. Das war vor knapp einem Jahr und seither passieren seltsame Dinge mit meinem Auto. Regelmäßig neue Kratzer im Lack, Zigarettenstummel auf der Windschutzscheibe und Schrauben im Reifen. Die Kratzer sind mir scheißegal, die verbrannten Scheibenwischer ebenfalls, nur die Reifen… das ist blöd. Ein Auto fährt auch mit Kratzern und mit kaputten Wischern, doch mit einem Platten fahren… das geht nicht.
Genauso wie ich damals auf die dummen Briefe des Stoßstangenfetischisten reagiert habe, reagiere ich nun auf seine Aktionen gegen mich. Nämlich überhaupt nicht. Das ist Kindergarten, weißt du? Wo bleibt da sein Stolz, sein Selbstwertgefühl als Mann, seine Ehre?
Seit einer Woche dürfte dieses Waserl wohl ein neues Opfer haben. Aber eines, das wie er ist! Das Auto des Stoßstangenfetischisten hatte vor ein paar Tagen einen zerquetschten Cremekuchen auf der Windschutzscheibe kleben und heute, als ich zu Billa einkaufen latschte, sah ich eine mit Lackstift gemalte Karrikatur auf seinem Auto. Das Gesicht eines Schweines. Was mußte ich lachen! So sieht er tatsächlich aus! Ich hoffe, dem Typen ist klar, das ich da nicht meine künstlerischen Finger im Spiel habe.

Auf dem Nachhauseweg kam er mir entgegen. Und da merkte ich einmal mehr, was er für ein Mensch ist. Ich sah ihm in die Augen, fixierte ihn und er, was tat er? Er wich meinem Blick aus, bekam eine rote Birne und machte einen großen Bogen um mich. So handelt kein Mann, nur Menschen ohne Ehre handeln so.
Ich kann mich also auch weiterhin auf Überraschungen freuen.

Ich aas:
1 Bresso
1 Kronprinz Rudolf Apferl – die vielen Kronprinz Rudolf Äpfel der letzten Wochen machen mich stark und klug – meine Zähne wachsen wieder
1 Brot
1 Dillsenf
1 Käse

Und jetzt c’est la vie

Und jetzt c’est la vie

Ich war im Rattenloch und jetzt bin ich wieder zuhause.
Der Autoreifen war kaputt und jetzt hat er wieder Luft.
Die Nachbarin wäre fast krepiert und jetzt wird sie wieder gesund.
Das Mittagessen war kompliziert und jetzt ist mir schlecht.

Der Teller war schön verziert und jetzt liegt alles im Mist.
Die Gurke war mit Liptauer gefüllt und jetzt ist sie leer.
Der Geschmack gab nichts her und dann kam der Senf.
Zuerst kam der Senf und dann der Brechreiz.
Und jetzt jetzt und dann dann.

Mein heutiges Gedicht zum heutigen Gericht.