Sinnkarenz

Also wegen Helga. Der Papierkram für die frühzeitige Entlassung war recht schnell erledigt. Der zuständige Arzt rief uns beim Abschied noch nach:
„Frau Helga! Sie wissen eh: Alkohol- und Nikotinkarenz!“
Als ich das hörte, blickte ich voll Bewunderung, aber doch auch mit etwas Neid, auf Helga. Wow! Alkoholkarenz, Nikotenkarenz! Himmel! Was muss man tun, um das verschrieben zu bekommen? Ich erinnere mich genau, wie mir ein Bekannter erzählte, wie er um seine Bildungskarenz kämpfen musste!
Doch Moment! Dann überlegte ich mir, wird wohl eher genau das Gegenteil bedeuten. Alkohol- und Nikotinkarenz heißt wahrscheinlich eben genau kein Alkohol und keine Tschick mehr! Und dann fiel mir ein, dass dieser Bekannte seine Bildungskarenz bewilligt bekommen hat und nachher eigentlich auch viel dümmer war als vorher.
Dies ging mir durch den Kopf als ich mit Helga das beschissene Krankenhaus verließ.

Ich aas:
1 Semmerl mit Schinken, Gouda und Eier
1 Apfel Kronprinz Rudolf (endlich wieder verfügbar!)

Helgas Schläuche

Aber eigentlich waren wir ja bei Helga. Lass mich das kurz fertig erzählen.

Ich saß also in meinem Frust in der Scheißkrankenhauskantine, als plötzlich Helga mir gegenüber Platz nahm und sagte:
„Matla, du musst mich hier rausholen.“
Ich blickte sie stumm an… weißt du, ich tu mir in solchen Situationen so schwer… wenn ich beim Brandinesa auf Helga getroffen wäre, passt! Da gehört sie hin! Wie’s Eiter ins Wimmerl. Wenn ich aber Leute in ganz anderen Umgebungen treffe, dauert es dermaßen lange, bis ich verstehe, was passiert… das geht sogar so weit, dass ich Menschen nur dort wieder erkenne, wo ich sie kennengelernt habe.
Als mein Gehirn also endlich Helga erkannt hatte, wollte ich schon instinktiv nach dem Wirt schreien, weil am Tisch keine Getränke standen… aber wir waren ja in der Krankenhauskantine.  Helga selbst sah etwas mitgenommen aus. Ja, die aufgedunsene, rote Nase, die leicht herabhängende Unterlippe und das schüttere Haar… alles wie immer. Nur… die beiden Schläuche, die aus Hals und Schulter ragten und in einem kleinen Gerät zusammenliefen, das Helga umgehängt hatte, die waren neu.
„Woraus genau soll ich dich holen?“, fragte ich Helga.
„Aus dem Krankenhaus. Ich darf raus, wenn ich eine Begleitperson habe.“
„Was ist mit den ganzen Schläuchen, die aus deinem Körper hängen? Die werden ja wohl hier bleiben oder?“
„Matla, die kommen mit! Die leiten irgendeine Flüssigkeit ab und wenn ich auf dem Kasten hier auf diese Taste drücke, fließt Schmerzmittel in die Schulter. Es ist so leiwand!“
Hm, ok. Helga erklärte mir noch mehr… ich verstand zwar nicht genau, warum Helga mit Schläuchen in der Schulter herumlief, aber letztlich schien mir alles reichlich plausibel zu sein.
„Ja, gut“, sagte ich, „wo muss ich unterschreiben?“

Ich aas:
1 Teller Spaghetti Bolognese, die irgendwer in der weißen Anstalt übrig gelassen hat

Kantinische Dualität

Die ersten Wochen verbrachte ich ja hauptsächlich nur im Krankenhaus, nachdem das mit der Nachbarin passiert war. Manchmal, um mit meiner Hilflosigkeit und meiner Verzweiflung nicht ganz alleine dazustehen, hockte ich mich in die Krankenhauskantine und trank irgendwelche picksüße Getränke, die ich mit meinem Flachmann geistig aufwertete.
Die Leute mit ihren aschfahlen Gesichtern zu beobachten, war aber leider nie so lange interessant wie ich hoffte. Auch hier erkannte man recht schnell die zwei klassischen Kategorien von Menschen: die, die sich schon aufgegeben hatten und die, die noch weitermachen. Die einen ließen sich von den Pflegern nur noch mit heraushängender Zunge und verdrehten Augen im Rollstuhl von einem Tisch zum anderen schieben, die anderen kämpften sich selbst auf Krücken Schritt für Schritt vorwärts. Die einen standen mit ihren Beatmungsmaschinen vor der Tür und rauchten, die anderen saßen zitternd und schwitzend bei ihren Tees. Diese abstoßende Widerwärtigkeit der Menschheit schien mir hier im Krankenhaus besonders deutlich zu sein.
Eines Tages setzte sich jemand an meinen Tisch… ich nahm das nicht sofort wahr, denn ich war viel zu sehr mit Realitätsverweigerung beschäftigt. Nach ein paar Sätzen wurde mir schließlich doch bewusst, dass mir gegenüber Helga saß.  Helga, ich kannte sie vom Brandinesa.
„Matla, du musst mich hier rausholen“, flüsterte sie mir zu.

Ich aas:
1 Kornspitz mit Satanszunge

Im Hühnerstall zu Kreta

Wie letzte Woche berichtet, saß ich nun auf Kreta in einem Hühnerstall und hatte vor, das dürre Huhn mit dem eitrigen Auge zu töten. Mit bloßen Händen. Allein es viel mir nicht leicht.
Ich konzentrierte mich, beobachtete das Huhn, versuchte, genügend Hass aufzubauen, um die Tötungshemmung zu überwinden. Ging nicht. Nach einer Weile überlegte ich mir, dass das vielleicht der falsche Weg war. Vielleicht sollte ich das Huhn lieben! Ja! Das war’s! Ich fiel vor dem Huhn auf die Knie, verbeugte mich tief und sprach: „Liebes Hühnchen, verehrungswürdig bist du. Lebst dein Leben hier in diesem Stall, um letztendlich von mir getötet und gegessen zu werden. Dafür danke ich dir.“ Dem Huhn war das alles gleichgültig. Völlig uninteressiert marschierte es im Stall einher und gackerte gelangweilt vor sich hin. Erst als ich die zarten Füßchen des Hühnchens berühren wollte, um ihm zu huldigen, erregte ich seine Aufmerksamkeit. Es wendete sich mir zu und betrachtete mich genau mit seinen hinterlistigen dunklen Augen. Ich wurde vorsichtig:
„Macht es dir etwas aus, wenn ich dir jetzt den Kragen umdrehe?“
Waren seine Augen schwarz oder rot. Mich machte der Blick des Huhnes nervös und ich wich etwas zurück.
„Hör mal, es ist nichts persönliches, mußt du wissen…. eigentlich wars die Idee von deinem Bauer, weiß du?“
Das Huhn kam näher. Die Geräusche, die es nun von sich gab, klangen wie eine Drohung. Ich wich weiter zurück. Aus, ich klebte an der Wand. Da machte das Huhn einen Satz vorwärts und fuhr mir ins Gesicht. Ich stieß einen Schrei aus, sprang auf, fuhr mit dem Kopf durchs Dach vom Hühnerstall, duckte mich wieder und lief durch die gegenüberliegende Wand des Verschlags durch ins Freie.
„Mein Gott! Das Huhn will mich umbringen!“, schrie ich und rannte in Todesangst kreisförmig herum (manchmal auch in Achterbahnen, wenn das Huhn zu nahe gekommen war). Das verdammte Huhn ließ nicht locker, es verfolgte mich halb laufen, halb hüpfend und schrie, dass mir das Mark in den Knochen gefror.
Ferdinand, mein griechischer Freund und Meister, trat aus seiner Hütte und lachte lauthals:
„Darf ich vorstellen? Das ist Helga, ein sehr beherztes Huhn. Sie hat sich wohl entschieden, von nun an wieder Menschenfleisch zu essen!“

Ich aas:
2 Eckerlkäse
1 Apfel
1 Käse
2 Toastbrot
1 Bier