Kränkliche Weihnachtsmärchen

Bin daheim. Krankenstand. Zum ersten Mal heuer im Krankenstand, weil ich wirklich krank bin. Verkühlt oder so. Keine Ahnung. Liege herum, schaue aus dem Fenster, trinke heißen Glühwein und sinniere vor mich hin. Dabei entstehen allerhand brauchbare Gedanken, Einsichten und Erkenntnisse.
Zum Beispiel: Diese Weihnachtsgeschichte da, die mit Josef und Maria… und den drei Weisen aus dem Morgenland… mit ihren Gaben… und den Tieren, die auf das Jesulein tränzen. Irgendwie… ich weiß nicht… schon seltsam. Vielleicht ist alles nur ein gewaltiges, die Jahrtausende überdauerendes Verlegenheitslügenkonstrukt… oder das Ergebnis einer fein durchdachten Ausrede! Ja! Überleg mal! Maria, die Jungfrau, ist verheiratet… Jungfrau, jaja… mit Josef. Plötzlich schwanger. Josef weiß von nichts… weil seine eigene Frau will ja nicht von ihm durchgenudelt werden, niemand weiß warum… vielleicht eine Zwangsheirat?… trotzdem schwanger! Maria muss sich rausreden… irgendwie! Sie kann niemandem sagen, dass sie in Wirklichkeit auf einen römischen Soldaten steht… so einen italienischen Gigolotypen… mit fetten, nach hinten geschmierten Haaren… von dem hat sie sich aber sowas von ordentlich durchwalgen lassen… naja, egal… also was bietet sich besser an, als die Schwangerschaft auf Gott zu schieben? Kann sie zwar nicht beweisen, aber das Gegenteil davon kann auch keiner behaupten. Und wir alle wissen ja, dass das immer läuft! Naturkatastrophe? Gottes Strafe. Ein Massenmord? Gottes Wille. Schwanger? Gottes Sperma.

Ich aas:
1 Semmel mit Extra und Kronprinz Rudolf Apfel

Gehirnnerstag

Ich kam gestern etwas in Bedrängnis. Zuerst begann alles sehr… romantisch. Ich saß schon früh am Morgen in der weißen Anstalt… mutterseelenallein, wie schon die Tage zuvor… motiviert, inmitten frischer Luft, nirgends Leben… normalerweise menschelt es in der  weißen Anstalt nämlich sehr, weißt du, und das ist so abstoßend! Aber so hockte ich… ja… geradezu glücklich… an meinem Arbeitsplatz und träumte beim Fenster hinaus, stellte mir meine neue Karriere vor, ohne Menschen, in einem leeren Gebäude, glücklich, zum ersten Mal seit langer Zeit… glücklich… tatsächlich! Ein Hauch von Glück! In meinem sonst so tristen Dasein…
Doch leider. Leider leider leider. Zu bald läutete das Telefon:
„Matla! Wo stecken Sie? Schon wieder krank?“
„Wer spricht da?“
„Na, die Arbeit? Personalabteilung? Karin?“
„Wie ist das möglich! Es ist keiner hier!“
„Bitte? Sie sind nicht hier, Matla! Alle anderen schon!“
Mir wurde leicht schwindelig, bekam Zweifel. Traum, Delirium, Zeitreise, Dimensionssprung, Gehirntod, Aprilscherz?
„Mein Gott, Matla! Wissen Sie das etwa gar nicht… wir sind umgezogen!“
Jetzt wurde ich wütend. Während die Alte am Telefon mir die Ohren vollsuderte, überlegte ich. Ich wollte einerseits so gut es ging aus der Affäre aussteigen, mein Gesicht wahren, andererseits aber auch keine Schwäche zeigen.
„Nein, ich weiß es! Wollte nur noch schnell ein paar Dinge holen. Morgen komm ich ins neue Büro…“
„Nein, Matla! Jetzt! Sie kommen jetzt!“
„Pfuuuh, das muss ich mir noch überlegen… ich fahre so ungern mit öffentlichen Verkehrsmitteln…“
Die Stimme am Telefon überschlug sich, Krächzen, Krachen, die vollkommene elektronische Ekstase. Ich verstand kein Wort mehr und legte auf.
Seither bin ich daheim und warte auf eine Nachricht mit der neuen Adresse.

Und ich aas:
1 Brot mit Avocado + Salz + Zitrone

Sinnkarenz

Also wegen Helga. Der Papierkram für die frühzeitige Entlassung war recht schnell erledigt. Der zuständige Arzt rief uns beim Abschied noch nach:
„Frau Helga! Sie wissen eh: Alkohol- und Nikotinkarenz!“
Als ich das hörte, blickte ich voll Bewunderung, aber doch auch mit etwas Neid, auf Helga. Wow! Alkoholkarenz, Nikotenkarenz! Himmel! Was muss man tun, um das verschrieben zu bekommen? Ich erinnere mich genau, wie mir ein Bekannter erzählte, wie er um seine Bildungskarenz kämpfen musste!
Doch Moment! Dann überlegte ich mir, wird wohl eher genau das Gegenteil bedeuten. Alkohol- und Nikotinkarenz heißt wahrscheinlich eben genau kein Alkohol und keine Tschick mehr! Und dann fiel mir ein, dass dieser Bekannte seine Bildungskarenz bewilligt bekommen hat und nachher eigentlich auch viel dümmer war als vorher.
Dies ging mir durch den Kopf als ich mit Helga das beschissene Krankenhaus verließ.

Ich aas:
1 Semmerl mit Schinken, Gouda und Eier
1 Apfel Kronprinz Rudolf (endlich wieder verfügbar!)

Helgas Schläuche

Aber eigentlich waren wir ja bei Helga. Lass mich das kurz fertig erzählen.

Ich saß also in meinem Frust in der Scheißkrankenhauskantine, als plötzlich Helga mir gegenüber Platz nahm und sagte:
„Matla, du musst mich hier rausholen.“
Ich blickte sie stumm an… weißt du, ich tu mir in solchen Situationen so schwer… wenn ich beim Brandinesa auf Helga getroffen wäre, passt! Da gehört sie hin! Wie’s Eiter ins Wimmerl. Wenn ich aber Leute in ganz anderen Umgebungen treffe, dauert es dermaßen lange, bis ich verstehe, was passiert… das geht sogar so weit, dass ich Menschen nur dort wieder erkenne, wo ich sie kennengelernt habe.
Als mein Gehirn also endlich Helga erkannt hatte, wollte ich schon instinktiv nach dem Wirt schreien, weil am Tisch keine Getränke standen… aber wir waren ja in der Krankenhauskantine.  Helga selbst sah etwas mitgenommen aus. Ja, die aufgedunsene, rote Nase, die leicht herabhängende Unterlippe und das schüttere Haar… alles wie immer. Nur… die beiden Schläuche, die aus Hals und Schulter ragten und in einem kleinen Gerät zusammenliefen, das Helga umgehängt hatte, die waren neu.
„Woraus genau soll ich dich holen?“, fragte ich Helga.
„Aus dem Krankenhaus. Ich darf raus, wenn ich eine Begleitperson habe.“
„Was ist mit den ganzen Schläuchen, die aus deinem Körper hängen? Die werden ja wohl hier bleiben oder?“
„Matla, die kommen mit! Die leiten irgendeine Flüssigkeit ab und wenn ich auf dem Kasten hier auf diese Taste drücke, fließt Schmerzmittel in die Schulter. Es ist so leiwand!“
Hm, ok. Helga erklärte mir noch mehr… ich verstand zwar nicht genau, warum Helga mit Schläuchen in der Schulter herumlief, aber letztlich schien mir alles reichlich plausibel zu sein.
„Ja, gut“, sagte ich, „wo muss ich unterschreiben?“

Ich aas:
1 Teller Spaghetti Bolognese, die irgendwer in der weißen Anstalt übrig gelassen hat

Lebensverändernde Morgenkraft

Ich bin sehr sportlich. Ja, seit ungefähr zwei Wochen. Das war nämlich so… ich habe mich für zwei, drei Wochen von der weißen Anstalt krank gemeldet, weil… naja, du weißt schon… der Druck der letzten Zeit und das Wetter ist gerade so schön. Und da bin immer länger im Bett geblieben, während die Nachbarin ganz hektisch in aller Herrgottsfrüh wie eine Irre herumlief, um rechtzeitig fertig zu werden – und wenn sie das tut, dann muss ich mich im Bett immer ganz ruhig verhalten, mich quasi im Bett verstecken, sonst wird sie grantig und erteilt mir irgendwelche Aufträge, die ich tagsüber erledigen könnte. Und letzte Woche hat sie mich im Bett entdeckt, wie ich da gelegen bin, die Decke bis über die Nase gezogen, und sie mit kleinen, verschlafenen Augen beobachtet habe.
Aber ich hatte einen Plan! Bevor sie noch irgendetwas sagen konnte, stieß ich mit aller morgendlicher Kraft hervor:
„Du! Bringst du mir heute Sportschuhe mit?“
Das brachte sie so aus dem Konzept, dass sie völlig sprachlos von dannen eilte… in ihre Arbeit… oder was auch immer sie da jeden Tag macht.

Und tatsächlich. Die Nachbarin hatte es nicht vergessen und brachte mir am gleichen Abend Sportschuhe mit. Und diese haben – in der Tat – mein Leben verändert.

Ich aas:
2 Sandwiches mit Salami
1 paar Klumpen Käse dazu

Flucht in Dosen

Die Lösung aller Probleme der Menschheit in meinem Kopf entstand so:
Ich lag – eben krank – im Bett herum und sah mir ein paar Pornos an. Die Nachbarin saß gelangweilt mit übereinander geschlagenen Beinen neben mir und streichelte mir zärtlich den Kopf.
„Willst du dir nicht einmal was anderes ansehen, Matla?“
„Was denn zum Beispiel?“
„Naja, Netflix zum Beispiel. Ich hab eh Netflix. Das könnte ich dir geben und du kannst dann anschauen, was du willst.“
Meine typisch österreichische Reaktion:
„Netflix? Wos brauch i den unnedigen Schas!“
Doch die Nachbarin lässt sich durch solche Dinge natürlich nicht aufhalten. Und als ich schließlich gneißte, dass es auf Netflix alle Startrek-Serien gibt und ich die anschauen kann, wann ich will und wo ich will, war ich dabei!
Ich muss dazusagen, dass ich schon seit meiner Kindheit Raumschiff Enterprise bzw. Startrek-Fan bin. Damals nämlich – nach dem Krieg, wir hatten ja sonst nichts und sogar die Gummiringerl waren noch aus Holz  – ermöglichte mir Cpt. Kirk und sein spitzohriger Freund Mr. Spok eine phantastische Flucht aus der schrecklichen Realität.
Ja, und so kam es, dass ich nun ein paar Wochen die Möglichkeit hatte, mir Tag und Nacht Startrek reinzuziehen, was mir wiederum zu dieser allumfassenden Lösung aller Probleme der Erde verhalf!
Ist das nicht herrlich?

Ich aas:
1 Dose Thunfisch Pikant

Die Lösung aller Probleme dieser Welt befindet sich in meinem Hirn

Ich glaub, ich bin wieder da. Der Jänner war… naja… ganz interessant. War im Krankenstand und Urlaub… eher Krankenstand als Urlaub. Eine Verkühlung, die ich noch immer nicht ganz los bin. Herumgelegen, gependelt zwischen Aschenbecher, Schneuztüchl (Schneiztiachl), Scheißhaus, Mistkübel, Fensterbrett. Ein Dämmerzustand… die Nachbarin war auch keine Hilfe. Mit ihren Tees und Suppen und Cremchen und Arzneien. Tee! Ich könnte kotzen, wenn ich nur das Wort Tee höre!
Aber egal. Es ist ja nun vorüber. Ich jedenfalls habe die Zeit genutzt und mir überlegt, wie die ideale Gesellschaftsform aussehen müsste. Und ich war erfolgreich! Eigentlich steckt seit ein paar Tagen die Lösung aller Probleme dieser Welt in meinem Kopf! Ist das nicht der Wahnsinn!

Ich aas
1 Semmel mit Schwarzwälder, Käse und Gurkerl

Freiheit

Heute, als ich die weiße Anstalt betrat, passte mich Dr. Sowieso ab.
„Matla! Gut, dass Sie kommen. Herr XY will mit Ihnen sprechen.“
„Aha“, sagte ich mit dunkler Morgenmiene, „Und wer soll das sein?“
„Na, der Chef!? Geschäftsführer! Habe ich Ihnen schon zwei Mal erklärt. Kommen Sie gleich mit mir!“
Gut, wir gingen also in irgendein Zimmer, in dem ein Typ mit rotem Kopf und einer… also…. einer echt… also einer echt…wie soll ich sagen… ja, einer echten Schweinsnase im Gesicht saß. Die schiarche Sau murmelte irgendwas und zeigte auf die Stühle ihm gegenüber. Dr. Sowieso und ich setzten uns. Und gleich gings los. Die Schweinsnase begann zu reden und zu reden… du weißt ja schon, wie das bei mir läuft. Hirn-Mund-Polarität
Aber heute versuchte ich wirklich, dieser Sau zu folgen, zu verstehen, was er von sich gab, es zu begreifen, zu erfassen. Wirklich! Jedoch… ergebnislos. Schon bald schweiften meine Gedanken ab und ich begann, seine verschissene Visage zu beobachten, versuchte, etwas Schönes darin zu entdecken. Auch das ergebnislos.
Dann musste ich grinsen. Mir fiel nämlich eine Textzeile eines Songs ein, den ich in den letzten Tagen zufälligerweise an verschiedenen Orten gehört hatte. Diese Zeilen schwirrten die ganze Zeit in meinem Kopf herum:

Freedom’s just another word for nothing left to lose
Nothing don’t mean nothing, honey, if it ain’t free

Jaja, so ist das. Danach konzentrierte ich mich wieder auf die Sau. Sie kam mir jetzt noch hässlicher vor. Der Kopf jetzt tiefrot, wie eine Kirsche fast. Lustig.
Auf einmal hörter die Sau auf zu reden und zu gestikulieren. Er blickte mich irgendwie… krank… oder ärmlich, erbärmlich an. Er tat mir ja geradezu leid.
Ich wandte mich zu Dr. Sowieso und sagte:
„Ich hab‘ kein Wort verstanden. Was hat er gesagt?“
Die Sau sprang vom Sessel hoch, sodass dieser umkippte, und rannte wie abgestochen aus dem Raum.
Dr. Sowieso kicherte.
„Gut gemacht, Matla. Entweder sind Sie Ihren Job los oder es ändert sich genau gar nichts.“

Gut, auch recht. Ich aas:
1 Plastikverpackte Kornsemmel mit Inhaltsstoffen von Billa

Freiheit

Krankes Sparschwein mit Vorrang

Es gibt leider Dinge, für die ist man ab einem bestimmten Alter zu… ja… zu alt. Ich bin zum Beispiel die letzten zwei Wochen liegehaftig gewesen, nur weil ich einmal im Rausch nackt, ohne Decke, neben dem offenen Fenster eingeschlafen bin. Wegen dem Schas habe ich mich so verkühlt, dass ich völlig erledigt war. Schnupfen, Husten, das volle Programm. Der einzige Vorteil war aber, dass die weiße Anstalt irgendeinen geschickt hat, der mich kontrolliert hat. Weil ich angeblich zu oft krank bin. Jetzt haben sie den Beweis. Ja, ich bin ein kränklicher Mensch, der zu 75 Prozent der möglichen Arbeitszeit wegen Krankheit ausfällt. Ist halt so.

Noch ein Ding gibt es, für das man irgendwann zu alt ist: zum Führerscheinmachen. Die Nachbarin hat ihren die letzten Wochen gemacht. Es war der Horror. Ich am Bett gefesselt und sie mich die ganze Zeit mit irgendwelchen Fragen genervt. Dabei… seien wir uns ehrlich… die Fragen sind viel zu detailliert. Im Grunde reicht es, wenn man sich zwei, drei Verkehrszeichen merkt, der Rest geht nach Gefühl… bzw. teilweise nach Masse des Gefährts. Sitze ich in einem LKW, habe ich meistens Vorrang. Als Fußgänger ist man der Gefickte. Radfahrer haben auch fast keine Rechte. SUV fährt vor… wie heißen diese fahrenden Sparschweine nochmal?

Ich aas:
1 Teller Weintrauben, weil die grade in sind

Krankes Sparschwein

 

Hurdlewux

„Matla, ich muss Ihnen die Leviten lesen“, begann der Anstaltschef. Ich drehte meinen Kopf zum Fenster und tat recht überrascht, um seine Aufmerksamkeit auf etwas Anderes zu lenken. Umsonst. Der Chef ließ sich nicht beirren.
„Die Frau Hurdlewux…“
„Die was?“, unterbrach ich.
„Die Hotline.“
„Ah, verstehe.“
„Die Hotline hat mir gesagt, dass wir über Ihre unentschuldigten Fehlzeiten sprechen…“
„Über die was?“, unterbrach ich.
„Die Tage, an denen Sie vortäuschten, krank zu sein und in Wirklichkeit…“
„In was?“
„Was?“ Der Anstaltschef riss entsetzt die Augen auf und schüttelte den Kopf, so als wollte er alle Unklarheit aus seinem Gehirn bekommen.
„Bitte!“, rief ich und sprang von meinem Stuhl auf. „Geben Sie mir schnell eine Tablette gegen Wahnvorstellungen! Das Wochenende kommt schon in riieeeseeeen Schritten und Furzer und Bob und Brunnhilde und Sonja wollen…“

Oh und plötzlich war es vorbei und ich aas:
1 Schachtel mit dem beschissensten Essen, das ich seit Monaten zu mir nahm!

Hurdlewux