Weg V

(Inhaltsverzeichnis)

In diesem Schuljahr wurde ich schnell erwachsen, bald konnte mir keiner mehr etwas sagen. Eine gewisse Abartigkeit manifestierte sich in mir. Und diese Abartigkeit wurde von den anderen akzeptiert, von einigen sogar bewundert. Ich riss so manchen mit mir in den Abgrund. Viele machten es mir nach, zogen alte, zerschlissene Kleidung an, ließen sich die Haare wachsen, begannen zu rauchen und zu saufen, was das Zeug hergab. Wir fetzten den letzten braven Jungfrauen ihre mit Rüschen verzierten, zugeknöpften Kleider vom Leib und vögelten sie der Reihe nach. Nicht, dass es ihnen nicht gefallen hätte – ihre nach Freiheit und Berührung schreienden Titten sprangen uns förmlich entgegen. Das Erlebnis mit der griechischen Maria hatte ich schnell verdaut und, eigentlich, dürstete ich nach mehr davon.
Nach den ziemlich wilden und manchmal auch unbeholfenen Gerangeln hatte ich immer den Drang, die Mädchen zeichnen zu müssen – ich war von ihren geröteten Wangen und ihren befriedigt lasziven Blicken fasziniert.
Manche unserer Clique bildeten sich ein, Hippies zu sein, dachten und handelten nach ihren Idealen, hörten ihre lächerliche Blümchenmusik. Ich hatte die Schnauze voll von Idealen und blieb der rockige Einzelgänger, der sich nicht so viel dabei dachte, wenn er in der Nacht betrunken mit siebzig Sachen in einem Auto durch die Fußgängerzone schoss.
Irgendwo fand ich immer jemanden, mit dem ich Spaß haben konnte. Mit einigen Typen gründete ich eine Band. Ich konnte kein Instrument spielen, brachte mir aber in kürzester Zeit bei, Schlagzeug zu spielen. Alle wunderten sich, wie so etwas möglich war. Ich sag‘s ja, ich war begabt. Des Gitarristen Vater glaubte irgendwas in mir entdeckt zu haben, er wollte mich fördern und schenkte mir ein altes Schlagzeug, das auf seinem Dachboden dahingammelte.
Unsere Band war nie sehr gut, aber laut. Wir spielten bei Partys für freie Getränke, einmal bei einer übereilten Hochzeit eines jungen, unglücklichen Paares. Unser bester Auftritt, und auch unser letzter, war bei einem Maturaball in der Kellerbar. Irgendwer hatte Beziehungen und verschaffte uns diese Möglichkeit. Wir wurden nach drei, vier Liedern von den Veranstaltern nach einer kleinen und für uns aussichtslosen Keilerei von der Bühne geschmissen und liefen fluchtartig mit unseren demolierten Instrumenten davon. Lachend und glücklich.
Nun fand ich es an der Zeit, meine künstlerische Laufbahn zu beenden. Ich zerhackte das Schlagzeug in seine Einzelteile, holte meine Schulbücher, meine Hefte, die Zeichnungen und baute im Garten einen feinen Scheiterhaufen. Zuoberst stellte ich Tantes Kriegspuppe aus dem Keller. Dann verabschiedete ich mich von Tante und der Schule und verschwand noch bevor die Feuerwehr eintraf. Ich war siebzehn.

Weg IV

(Inhaltsverzeichnis)

Die Sonne ging auf und das Meer beruhigte sich, der Wind hatte sich verzogen. Onkel Ramón stand am Steuer, völlig erschöpft, er sah um zwanzig Jahre älter aus. Die ganze Größe, die er normalerweise in Gegenwart seiner Geschäftspartner und Kunden ausstrahlte, war dahin. Ich fragte ihn, warum er das überhaupt machte. Warum segelte er überhaupt?
„Weißt du, Augusto, das ist die letzte Herausforderung für einen Mann. Der Kampf gegen die Elemente. Hier am Meer, in einer Puta von einer Nussschale. Ob du lebst oder stirbst, das spielt keine Rolle. Wichtig ist der Kampf, den du niemals verlieren darfst. Der ewige Krieg, den du niemals aufgeben darfst.“ Kitschig. Das leuchtete mir ein.
Am Nachmittag saßen wir in einer Hafenbar, wir hatten etwas geschlafen. Ich weiß nicht mehr, welcher Hafen das war. Onkel Ramón hatte wieder Farbe im Gesicht und ich fühlte mich wie neugeboren. Was für eine Erfahrung, was für ein Abenteuer! Bei einem Glas Ouzo fragte er mich: „Hast du deinen Großbaum schon mal in eine Puta gesteckt, Augusto?“ „No.“ „Wie alt bist du?“ „Fünfzehn.“ Onkel Ramón murmelte Unverständliches in sich hinein, stand auf und wankte zu den Barmädchen. Er sagte etwas zu ihnen und hielt ihnen ein paar große Scheine unter die Nase. Alle gingen mit finstrer Miene davon – bis auf eine, die nahm die Kohle. Onkel Ramón kam wieder auf seinen Platz, schlug mir kräftig auf den Rücken und sagte zu mir nur: „Ich komme gleich, huevón.“
Ich blieb schulterzuckend an der Bar zurück. Die Barfrau, die die Scheine genommen hatte, kam zu mir, lächelte und mischte mir einen kräftigen Drink. Was sie sagte, verstand ich nicht. Scheißgriechisch. Sie bedeutete mir, schnell zu trinken und mixte mir noch einen. Grausiges Gesöff, mir war schon ziemlich schwindelig. Sie sagte dann so etwas wie: „You are beautiful.“ Ich verstand zwar nicht viel Englisch, ich hasste diese Sprache, doch zumindest einige Grundlagen konnten sie selbst mir in der Schule beibringen. „Äh, you too.“, brachte ich nur hervor und trank den Rest des Glases in einem Zuge aus. Lächerlich, reicher Onkel zahlt Neffen den ersten Fick.
Puta! Was die mit mir anstellte, unfassbar, es war mir einfach zu viel auf einmal, beinahe ein Schock.
Zwei Tage später flog ich schon nach Hause und Ramón sagte, sollte ich einmal einen Job brauchen, solle ich mich einfach melden.
Ich wusste nur, dass das Mädchen Maria hieß. So wie alle Barmädchen damals in Griechenland auch, wie mir schien.

Oelek mich doch!

Manchmal setze ich mich zur Nachbarin, wenn sie fernschaut. Gestern auch. Und da fiel mir wieder auf… Da fiel mir schon wieder(!) auf, dass das Fernsehprogramm seit Jahren scheinbar hauptsächlich aus Kochsendungen besteht. Ich kann den Reiz daran überhaupt nicht nachvollziehen! Nach ein paar Minuten reicht es mir dann meistens und ich laufe schreiend davon. Schreiend… wütend! Jedes Mal, wenn einer beginnt, im Essen herumzustochern und zu nörgeln… so wie: „naja, ich hätte mir etwas mehr von XY gewünscht“ oder „zu komplexe Geschmackskomponenten“… oder wenn die unnötige Tischdekoration nicht zur Farbe der Suppe passt… oder so ein Scheiß! Da muss ich den Fernseher anschreien! Ich muss! „Na – dann – geh – doch – scheißen – Alter!“ Und stell mir vor, wie ich seinen Schädel bei jedem Wort mit dem Gesicht voran ins Essen donnere. Da! Friss Scheiße! Und dann riech meinen Arsch!

Ich aas:
1 Knacker mit Sambal Oelek
1 Griechischer Schafskäse
1 Brot

Satyr sei Papa

Guten Morgen im neuen Jahr. Ich bin aus dem Feiertagskoma erwacht… und… niemand freut sich.

Auf Grund des teuren Fusels, den mir die Nachbarin nun immer kauft, hatte ich dieses Weihnachten erstmalig das Vergnügen direkt unter dem Christbaum das Vollrauschkoma zu genießen… und nicht am Clotackerl wie sonst immer.

Neujahrsvorsätze: ich versuche, die neu entfachte Liebe der Nachbarin für mich auszunutzen und nur noch teuren Fusel zu trinken und teure Tschick zu rauchen.

Das neue Jahr begann bei mir mit einem Feuerwehreinsatz. Endlich eine Silvesterfeier nach meinem Geschmack. Und das war so:

Die Nachbarin wollte den Jahreswechsel bei Bekannten am Land über die Runden bringen und überredete mich, mitzukommen. Gleich zu Beginn machte ich mich unbeliebt… dabei dachte ich zunächst, auf Gleichgesinnte getroffen zu sein. Denn dort, wo üblicherweise der Hausaltar zu sein pflegte, stand ein Bild von einem eher dunklen Typen mit Wuschelkopf… und ich rief ganz enthusiastisch, als ich in das Zimmer eintrat:
„Geil! Ist das der junge Carlos Santana?“
Die Mine der Domina verfinsterte sich sogleich.
„Naaa, des is Satyr sei Papa!“
In meinem Gehirn begann es, sich ziemlich abzuspielen. „Satyr“, ok, griechische Mythologie, „sei Papa“… der Vater wessen? Welcher Satyr?… ich gab auf.
„Aha. Naja, ich kenne mich nicht so gut mit den Griechischen Göttersagen aus. Ich weiß, was ein Satyr ist…“
„Naaaa, hearst! Das – ist – Sathya – Sai – Baba! Nu nix gheart vo eahm?“
Ich ließ mir das erklären. Sathya Sai Baba ist angeblich ein indischer Pfarrer oder so.

Nun, wie es weitergeht, erfährst du nächste Woche.

Ich aas:
1 Brot mit Leberpastete von Inzersdorfer

Sathya Sai Baba

Im Hühnerstall zu Kreta

Wie letzte Woche berichtet, saß ich nun auf Kreta in einem Hühnerstall und hatte vor, das dürre Huhn mit dem eitrigen Auge zu töten. Mit bloßen Händen. Allein es viel mir nicht leicht.
Ich konzentrierte mich, beobachtete das Huhn, versuchte, genügend Hass aufzubauen, um die Tötungshemmung zu überwinden. Ging nicht. Nach einer Weile überlegte ich mir, dass das vielleicht der falsche Weg war. Vielleicht sollte ich das Huhn lieben! Ja! Das war’s! Ich fiel vor dem Huhn auf die Knie, verbeugte mich tief und sprach: „Liebes Hühnchen, verehrungswürdig bist du. Lebst dein Leben hier in diesem Stall, um letztendlich von mir getötet und gegessen zu werden. Dafür danke ich dir.“ Dem Huhn war das alles gleichgültig. Völlig uninteressiert marschierte es im Stall einher und gackerte gelangweilt vor sich hin. Erst als ich die zarten Füßchen des Hühnchens berühren wollte, um ihm zu huldigen, erregte ich seine Aufmerksamkeit. Es wendete sich mir zu und betrachtete mich genau mit seinen hinterlistigen dunklen Augen. Ich wurde vorsichtig:
„Macht es dir etwas aus, wenn ich dir jetzt den Kragen umdrehe?“
Waren seine Augen schwarz oder rot. Mich machte der Blick des Huhnes nervös und ich wich etwas zurück.
„Hör mal, es ist nichts persönliches, mußt du wissen…. eigentlich wars die Idee von deinem Bauer, weiß du?“
Das Huhn kam näher. Die Geräusche, die es nun von sich gab, klangen wie eine Drohung. Ich wich weiter zurück. Aus, ich klebte an der Wand. Da machte das Huhn einen Satz vorwärts und fuhr mir ins Gesicht. Ich stieß einen Schrei aus, sprang auf, fuhr mit dem Kopf durchs Dach vom Hühnerstall, duckte mich wieder und lief durch die gegenüberliegende Wand des Verschlags durch ins Freie.
„Mein Gott! Das Huhn will mich umbringen!“, schrie ich und rannte in Todesangst kreisförmig herum (manchmal auch in Achterbahnen, wenn das Huhn zu nahe gekommen war). Das verdammte Huhn ließ nicht locker, es verfolgte mich halb laufen, halb hüpfend und schrie, dass mir das Mark in den Knochen gefror.
Ferdinand, mein griechischer Freund und Meister, trat aus seiner Hütte und lachte lauthals:
„Darf ich vorstellen? Das ist Helga, ein sehr beherztes Huhn. Sie hat sich wohl entschieden, von nun an wieder Menschenfleisch zu essen!“

Ich aas:
2 Eckerlkäse
1 Apfel
1 Käse
2 Toastbrot
1 Bier

Ferdinand, der kretische Hühnermeister

Und so kam ich zu Ferdinand, meinem griechischen Freund, Bauer und Meister. Ich erzählte ihm von meinem Gespräch mit der Zombieziege. Er lächelte und sagte, es gäbe nur noch eines zu tun. Seinen Bart glatt streichend führte er mich in seinen verdreckten Hühnerstall, kaum mehr als ein einfacher Verschlag.
„Welches Huhn gefällt dir am besten, mein Freund?“, fragte er mich.
Ich sah mich um.
„Nunja, die sehen ja alles aus, als würden sie bald den Hungertod sterben. Aber…. das dort! Das mit dem eitrigen Auge!“, antwortete ich.
„Töte es!“
Ich kratzte mich am Kinn und sagte:
„Gut, hast du eine Waffe?“
„Ohne Waffe. Mit deinen bloßen Händen. Los, töte das Huhn!“
Ein seltsames Gefühl kam in mir hoch. Noch nie hatte ich ein Tier mit bloßen Händen getötet (außer natürlich Fliegen, Gelsen, Spinnen und Katzen). Ich verwendete für das Erlegen größerer Tiere ausnahmslos Schwerter, Motorsägen und Schußwaffen. Ich zweifelte. Mein Leben stand am Scheideweg.
„Ich lasse euch allein.“, flüsterte Ferdinand und verließ den Hühnestall.

Ich aas heute:
2 Brote
2 Eckerkäse
1 Geheimratskäse
2 verschiedene Gewürze – Ferdinand hatte mir 2 kleine Pflänzchen mit auf den langen Weg nach Österreich gegeben.