Krätze, Apfel und Ei

Das Leben im Gemeindebau ist ein Leben voller Missverständnisse. Als ich heute aus dem Haus latschte, traf ich die alte Krowodin von Tür 3, mit der ich mich immer gerne unterhalte… einfach weil sie witzig ist. Erzählt mir immer voller Elan und Enthusiasmus von Dingen, die für die Volkswirtschaft so wichtig sind wie ein Lercherlschas. Heute schilderte sie mir ihre neuen pflanzlichen Errungenschaften am Balkon, geradeso, als ob sie damit die Welt retten würde. Manchmal steigert sie sich so sehr in ihre Erzählungen hinein, dass ihr Akzent immer stärker wird und ich gar nichts mehr verstehe. Ich lache trotzdem mit. Bevor ich davon ging, rief sie mir noch nach: „Herr Matla, ihre Nachbarn haben seit ein paar Tagen Krätze!“
Bei der Straßenbahn traf ich einen dieser Nachbarn. Blieb einige Meter entfernt stehen, Sicherheitsabstand, und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. In günstigen Momenten suchte ich seine Hals- und Gesichtshaut ab. Eigentlich nichts zu sehen. Krätze. Hm.
Vorher stand ich mit der Nachbarin für ein paar Tschick und Achterln am Hoffenster – das Wetter ist ja ein Wahnsinn –  und erzählte ihr von der Krätze der Nachbarn. Da erschien auch schon der Nachbar an seinem Fenster.
„Alles klar, Alter?“
„Ja“, brummte er und zündete sich eine an.
„Alles gesund bei euch?“
„Jaja. Und bei euch?“
Hm, es war nichts zu erfahren. Krätze! Wo war die Krätze?
Dann holte der Nachbar von irgendwo hinter dem Fenster eine Schüssel mit grünen Pflänzchen hervor.
„Da“, sagte er, „Kresse!“
Alles klar.

Ich aas:
1 Apfel
1 Ei

Mitmachen ist alles!

Bin heute Früh schon schlecht draufgewesen. Augen auf, draußen dunkel, kalt. Zu früh zum Aufstehen, zu spät zum Weiterschlafen. Stand auf. „Und was jetzt?“ Angezogen und zum Brandinesa. Der Wirt sitzt manchmal schon um fünf, sechs Uhr in seiner Hütte, weil er es neben seiner Alten im Bett nicht aushält. Ich klopf‘ an, er sperrt auf, läßt mich rein. Wir trinken ein stummes Achterl. Dann noch eines. Irgendwann sag‘ ich brummend „Servas pfiati, Ferdl“ und geh‘ raus. Ums Eck treff‘ ich plötzlich die Blade von der Dreierstiege. „Ich geh‘ auch nach Hause, Herr Matla.“ Und holt Luft und fängt an zu reden. Die is‘ immer so. Redet und redet bis du in Agonie verfällst. Ich geb‘ den Berg rauf Gas, damit sie außer Atem gerät – „Damit sie endlich die Papp’n hält“, denk‘ ich mir. Irgendwann ist sie hinter mir verschwunden und ich schau‘ bei der Nachbarin vorbei. Die hat auch grade nicht die beste Laune. „Kaffee?“ „Na gut.“ Auf einmal klopft es. ’s ist wieder die blade Wuchtel. „Ich komm‘ auf ein Tratscherl.“ Und ich muss mir den ganzen Stuß nochmal anhören. Einfach alles Kacke!
Und dann schlag‘ ich zufällig so eine Zeitung auf, die da rumliegt… blättere fluchend durch – alles uninteressant. Ganz hinten plötzlich bleib‘ ich hängen… und bekomme einen Lachkrampf! Himmel! Die Damen sahen mich überrascht an. „Was is‘? Bist jetzt endgültig deppat wordn?“
Ich zeigte ihnen meinen Fund:

Da sind wir dann alle vor Lachen am Boden gelegen!
„Schau‘ mal! Der eine schaut wie Gollum aus!“
„Ja! Und der, wie ein schielender Harry Potter!“
„Und der! Der denkt sich grad: ‚Jetzt hat mei‘ Oarsch die Hosn gfressn!'“

Ein schöner Tag. Danke. Ich aas:
1 Stück Braten
1 Brot
1 Käse

Aidaeinsatzkommando

Es gibt Tage, da fahre ich einfach nur von Wirtshaus zu Wirtshaus und gebe mich als Kugelschreibervertreter aus. Wenn ich Glück habe, bringe ich ein paar lustige Geschichten aus meinem Kugelschreibervertreterleben an und bekomme ein Achterl Rot oder ein Seiterl spendiert. Das tut manchmal einfach gut, obwohl dabei die Parkplatzsucherei auch sehr anstrengend sein kann. Ich habe aber schon genug Erfahrung und finde schnell freien Platz für meine verschissene Mistkarre. Dazu stelle mich einfach in Halteverbote, auf Gehsteige, in Hauseinfahrten und Ladezonen. Lange Zeit habe ich ein Schild „Arzt im Dienst“, das ich mir von einem Kumpel habe machen lassen, auf das Dings gelegt…. wie heißt das noch schnell…. Fahrerkonsole oder?… also einfach unter die Frontschreibe gelegt. Damit bin ich lange Zeit durchgekommen. Bis mein Auto eines Arztes unwürdig wurde und das Schild unglaubhaft war. Danach habe ich durch Zufall ein Pickerl bekommen – da war irgendein Wappen drauf und drunter stand: Gendarmerieeinsatzkommando. Hat auch eine Zeitlang geholfen. Bis die Sonne den Aufkleber völlig verbleicht hatte.
Seit ein paar Tagen versuche ich das:

Das haben sie mir vor ein paar Tagen am Gürtel in die Hand gedrückt. „Aida Zustelldienst – Ihre Mehlspeise zu Ihnen ins Haus geliefert.“ Und ich finde, dieser Werbefolder eignet sich hervorragend als „Arzt im Dienst“-Schildersatz. Jeder Strassenkiwara sollte ja wohl nun einsehen, daß unsere malakoffgeilen Pensionisten schnell ihr Torterl zum Kaffeetscherl brauchen, und ein Auge zudrücken, wenn mein Wagen irgendwo illegal herumsteht oder? Trotzdem habe ich diese Woche schon DREI ganze Strafzettel kassiert.

Ich esse solches, wohin mir welches geht:
1 Brot mit Eier

Sandler

Was ich gestern geschrieben habe, ist natürlich alles gelogen – wie könnte es anders sein? Kein einziges Wort in diesem Blog entspricht der Wahrheit. Wie oft ich das wohl noch sagen muß?

Dennoch würde ich gerne wissen, ob es „Marias Bar“ noch gibt. Das Lokal hieß nicht wirklich so – die wahren Namen will ich hier nicht nennen.

Während jener Zeit, in der ich Kellner und dann Taxifahrer war, lernte ich einige Insassen des Männerwohnheims kennen. Und auch andere „Sandler“.
Im Grunde ist der typische Sandler ein guter Mensch. Problematischer sind die etwas jüngeren. Die sind teilweise schwer zu handhaben, denn sie geben noch der ganzen Welt die Schuld an ihrem Zustand und das macht sie manchmal ziemlich aggressiv.
Von den alten Sandlern hat man nichts zu befürchten. Das sind die, die mit dem erwähnten krummen Rücken herumwandeln, Vollbart, kleine Schritte, leerer Blick, an Körperpflege oder Wäsche kein Interesse, namenlos. Die machen sich nichts mehr vor, die wissen, daß alles irgendwann zu Ende geht.
Aber nicht alle sind so. Im Männerwohnheim gab es auch Bewohner, die einfach das Beste aus ihrer Situation machten. Der Ferdl zum Beispiel, in Wien 20 durchaus bekannt, schwerer Alkoholiker, der stand jeden Morgen um Punkt fünf Uhr auf, ging duschen, zog sich saubere Kleidung an (meistens alte Sakkos aus den Siebzigern, Glockenhosen, riesige Kragen), setzte sich seine mit Hansaplast zusammengeklebte Brille auf die Nase und marschierte los. Zuerst besorgte er sich eine Zeitung, setzte sich dann ins Cafe, um diese zu studieren und um sein erstes Achterl zu trinken. Ihn konnte man auch als Taxifahrer getrost mitnehmen, denn er ließ sich nur eines rufen, wenn er auch genug Geld hatte.
Manchmal kamen Sandler in Marias Bar, die einfach nur auf der Durchreise zu sein schienen. Die tauchten wie aus dem Nichts aus, blieben ein paar Nächte und verschwanden dann wieder spurlos. Allerlei Typen lernte man da kennen. Zum Beispiel welche, die ihre Methode durchs Leben zu kommen, richtig in den Himmel priesen. Sie zeigten ihr Geld, das sie sich am Tage erbettelt hatten, luden andere ein, gaben übermäßig viel Trinkgeld und waren überhaupt sehr großzügig.
Es gab darunter natürlich auch Frauen. Eine kam eines Tages zu mir ins Lokal und wollte ein Bier, nennen wir sie Eva. Ich gab Eva ohne zu zögern ein Krügerl, denn ich freute mich immer über neue Gesichter. Leider hatte sie dann kein Geld, um das Bier zu bezahlen. Ich wurde etwas sauer, weil ich selbst nicht viel Geld hatte und ja alles genau abrechnen mußte – Ware, die nicht bezahlt wurde, mußte ich auf meine Kappe nehmen. Eva lief aber nicht weg oder ging einfach kommentarlos davon, sondern schnappte sich alle Aschenbecher aus dem Lokal und ging sie ins Scheißhaus waschen. Die Aschenbecher waren aus Ton und stanken danach wie die Hölle, aber gut. Sie sagte mir, sie würde gerne arbeiten und Geld verdienen (wie ich ja selbst eben gesehen habe), aber sie bekommt keinen Job!
Als Taxifahrer hat man es mit den Sandlern auch nicht leicht. Die meisten Taxler bleiben gar nicht mehr stehen, wenn ein Sandler winkt, oder jagen sie weg, wenn sie zum Standplatz kommen. Manche machen es auch so, daß der Sandler zuerst das Geld herzeigen muß, bevor er einsteigen darf. Da hat man allerdings immer das Risiko, daß sie ins Auto pissen oder daß die Rückbank dann längere Zeit stinkt. Und wenn sie einschlafen hast du überhaupt Pech gehabt. Denn die kriegst du nicht mehr so schnell aus dem Auto und dann pinkeln sie mit Sicherheit den Sitz voll.

Kurz: der Sandler ist ein Mensch, bei dem manche Dinge schief gelaufen sind, aber dennoch ist ihm mit Respekt zu begegnen (sollte man eigentlich gar nicht sagen müssen). Und was man so hört, mögen die Wiener ihre Sandler. Und ich auch.

Ich aas:
nichts, aber trank dafür umso mehr – der alten Zeiten wegen und weil Freitag is. Und es wird heute noch viel mehr werden. Alkohol schärft den Verstand und die Sinne.