Kulturesser

War heute beim Chinesen Essen holen. Finde das ja faszinierend, das chinesische Essen. Die Zutaten, eigentlich bekannt, aber schmecken tut’s doch ziemlich fremd.
Als ich so mit dem Essen im Sackerl schon wieder Richtung weißer Anstalt latschte, kamen mir allerhand Gedanken. Warum schmeckt das chinesische Essen nun wirklich derart seltsam? Bedeutet das Wort „Huhn“ in der Speisekarte etwa gar nicht das deutsche Wort für Huhn? Könnte ja genauso gut chinesisch sein. Zum Beispiel: Kim Jong Huhn. Wenn „Huhn“ nun wirklich Hendl bedeutet, wie sehen die chinesischen Hühner dann aus? Haben die kurze, kleine Stupsschnäbel und Schlitzaugen? Oder bedeutet das chinesische Wort „Huhn“ etwa doch das, wonach es eigentlich schmeckt? Nämlich „Schneckenarsch“?
Während ich solch grundsätzliche Probleme in meinem Gehirn erörterte, erreichte ich das Gebäude vor der weißen Anstalt. Da gibt es im Erdgeschoß hinter einem riesigen, ungetönten Fenster ein Büro, in dem jeden Tag so kleines asiatisches Würstchen sitzt und sich zu Tode langweilt. Gähnt, scrollt auf seinem Handy herum, kämpft gegen den Schlaf. Genau da blieb ich eine zeit lang stehen und beobachtete ihn. Vielleicht würde ich ja aus ihm schlau werden… die chinesische Küche und Kultur zu verstehen beginnen. Als ich jedoch sah, wie er sich einen gewaltigen Rawuzer aus der Nase holte und der auch noch Ähnlichkeiten mit meinem Essen hatte, ging ich erleichtert weiter. Nun schien sich der Kreis zu schließen.

Ich aas dennoch:
1 Plastikbehälter mit chinesischem Essen (und es war kein Nasi Goreng!)

Montäääh

Die Tür in der weißen Anstalt flog auf, eine Frau mit roten Zöpfen stand in der Tür und sagte:
„Äääh…“
Langsam neigte ich den Kopf zur Seite und hob wortlos meine Augenbrauen.
„Äääh, wo warst du?“, fragte mich die Frau und setzte sich mir gegenüber.
Ich war mit der Situation etwas überfordert. Montag. Morgen. Und sagte deshalb… nichts.
„Äääh, hast du deine Zunge verschluckt?“
„Wer sind Sie?“ Vorsichtiges Vortasten.
„Äääh, deine Kollegin?“ Eine Frage als Antwort.
„Ich habe Sie aber das letzte halbe Jahr kein einziges Mal gesehen“, sagte ich.
„Äääh, weil du nie hier warst?“ Noch eine Frage als Antwort.
Bevor ich noch was sagen konnte, sprang wieder die Tür auf. Ein Mann.
„Oooh!“, sagte er, als er die Frau sah.
„Äääh“, antwortete sie.
Dann sah er mich an und:
„Uiuiui!“
„Pfffff“, gab ich zurück.

Und irgendwann wird auch dieser Montag vorbei sein.

Ich aas:
1EKG
1 Nektarine

Lebensverändernde Morgenkraft

Ich bin sehr sportlich. Ja, seit ungefähr zwei Wochen. Das war nämlich so… ich habe mich für zwei, drei Wochen von der weißen Anstalt krank gemeldet, weil… naja, du weißt schon… der Druck der letzten Zeit und das Wetter ist gerade so schön. Und da bin immer länger im Bett geblieben, während die Nachbarin ganz hektisch in aller Herrgottsfrüh wie eine Irre herumlief, um rechtzeitig fertig zu werden – und wenn sie das tut, dann muss ich mich im Bett immer ganz ruhig verhalten, mich quasi im Bett verstecken, sonst wird sie grantig und erteilt mir irgendwelche Aufträge, die ich tagsüber erledigen könnte. Und letzte Woche hat sie mich im Bett entdeckt, wie ich da gelegen bin, die Decke bis über die Nase gezogen, und sie mit kleinen, verschlafenen Augen beobachtet habe.
Aber ich hatte einen Plan! Bevor sie noch irgendetwas sagen konnte, stieß ich mit aller morgendlicher Kraft hervor:
„Du! Bringst du mir heute Sportschuhe mit?“
Das brachte sie so aus dem Konzept, dass sie völlig sprachlos von dannen eilte… in ihre Arbeit… oder was auch immer sie da jeden Tag macht.

Und tatsächlich. Die Nachbarin hatte es nicht vergessen und brachte mir am gleichen Abend Sportschuhe mit. Und diese haben – in der Tat – mein Leben verändert.

Ich aas:
2 Sandwiches mit Salami
1 paar Klumpen Käse dazu

Lehre sprichwörtlich herausgequollen

Beim Billa war heute wieder der Lehrling an der Wursttheke. Das Belegen des Gebäcks funktioniert mittlerweile schon ganz gut, er merkt sich auch alles auf einen Schlag. Ja. Schön, wenn es Entwicklung gibt auf dieser Welt. Das Einzige, das noch verbesserungswürdig wäre, ist das Einpacken. Der Lehrling macht das immer noch eher so, als würde er ein Stück Papier zerknüllen. Ich hatte schon Angst, die Essiggurkerl quillen jeden Moment hinten und vorne aus meinem Weckerl heraus… aber das wird schon. Wie heißt es so schön? Geduld ist die Gelse in der Marmorkiste.
Beim Zurückgehen zur weißen Anstalt dachte ich mir, wenn ich damals auch eine Lehre gemacht hätte, würde ich heute wenigstens wissen, welchen Beruf ich ausübe, könnte meine Tätigkeit in Worte fassen, irgendetwas Sinnvolles in das Feld „Beruf“ auf Formularen schreiben. Dann wäre mir klar, was ich zu tun hätte, wenn ich auf meinem sogenannten Arbeitsplatz sitze. Aber so? Naja, wie heißt es so schön? Der Job steht vor dem Morgen, wenn heute du schon kannst gehen.

Ich aas nachdenklich:
1 Apfel Topaz
1 Mohnflesserl mit EKG

Lehre sprichwörtlich herausgequollen

Du Reissack!

Habe in der weißen Anstalt angerufen. Hexenschuss. Kann nicht kommen. Bei Ausreden, um mir Arbeit vom Hals zu schaffen, bin  ich sehr kreativ.
War aber vielleicht ohnehin ein Fehler, weil mich dafür die Nachbarin sekkiert hat. Sie hat gekocht und mir befohlen, ein Kaffeehäferl mit Reis zu füllen. Ich habe mich grün und blau geärgert. Und sie, die Nachbarin, weiß ganz genau, dass ich mich beim Kochen immer grün und blau ärgern muss!
Beispiel: die Nachbarin kauft den Reis nämlich immer in einem Plastiksack, der, sobald man in auch nur irgendwie berührt, nach allen Seiten aufreißt. Nur nicht dort, wo er aufreißen soll! Das sieht dann jedes Mal so aus, dass der Reissack – für mich ist das wie ein Schimpfwort: du Reissack – einen Riss von der oberen Mitte senkrecht nach unten hat. Der Effekt davon ist, dass, egal wie man ihn beim Umfüllen dreht und wendet, der Reis völlig überstürzt aus dem Reissack fällt und zwar nicht dorthin, wohin er soll, nein, sondern über die ganze Arbeitsfläche und auf den Boden. In schmale Ritzen, ins Bier. Überall hin. Nur nicht in das Scheißkaffeehäferl!

Gerechtigkeit muss jedoch sein. Ich starte meinen Gegenangriff mit – und das hasst die Nachbarin – Helge:

Ich aas:
1 Thunfisch mit Reis aus dem Reissack

Du Reissack!

Weidmanns Guy

Stand in der weißen Anstalt gerade in der Küche im Weg herum, als die Alte vom Empfang hereingeschossen kommt.
„Matla, Matla! Stellen Sie sich Ihnen vor, die XY vom Personalbüro ist gekündigt worden!“
Sie war ganz aus dem Häuschen. Ich war etwas irritiert und wusste nicht gleich, was ich antworten sollte. Gerade als ich kommentarlos das Weite suchen wollte, vernahm ich ein Hämmern, so als würde jemand im Haus einen Nagel in die Wand schlagen. Da setzte ich mir ein besorgtes Gesicht auf, drehte ich mich zur Alten um und flüsterte:
„Hörst du das? Immer wenn einer gekündigt wird, hört man danach dieses Hämmern.“
Die Alte zog ihren Kopf ein, blickte ganz nervös in Küche herum, als wären überall Mikrofone und Kameras versteckt.
„Wirklich?“
„Jaja. Und ich weiß auch, warum. Die werden nicht gekündigt. Die werden gekreuzigt. Und dann bei lebendigem Leib entweidet.“
Ich wollte noch mehr sagen, aber die Alte wurde ganz blass im Gesicht und lief Richtung Toiletten.
Guy Fawkes lässt grüßen.

Ich aas:
1 Glas Teufelsroller, um den Kater zu vertreiben

Weidmanns Guy

Wie die Dinge so laufen

Wenn ich in der weißen Anstalt aus dem Fenster schaue – und das tue ich fast ständig – sehe ich, wie bereits irgendwann erwähnt, auf ein verlassenes Grundstück, das in der Mitte ein Riesenloch hat. Schon alles mit Gestrüpp und Unkraut zugewachsen. In diesem Loch nach Regen manchmal ein kleiner Teich, in und auf dem sich allerlei Getier herumtreibt.
Als ich heute Richtung Billa an dem Grundstück vorbeilatschte, fiel mir der Segeltörn vom letzten Jahr ein. Wo wir zum ersten Mal in der Türkei waren und uns wunderten, wo die ganzen Türken hin sind und in der türkischen Küstenstadt Bodrum gestrandet waren und drauf kamen, dass Bodrum früher Halikarnassos hieß und eines der Sieben Weltwunder der Antike, nämlich das Mausoleum von Halikarnassos, beherbergte, und wir die herrlichen Abbildungen davon am Touristenstadtplan bestaunten und dann voller Enthusiasmus den ganzen Berg hinaufkeuchten, inklusive einer halsbrecherischen Überquerung der Autobahn, und dann vor einem Loch mit einem Stein daneben landeten, weil der Rest des Weltwunders schon lange durch unzählige Kriege, Erdbeben und Räubern zerstört worden war.
Ja, und da kam mir heute der Gedanke, als ich so vor diesem Loch stand, vielleicht ist das ja auch so ein Weltwunder gewesen. Dieses Loch, in diesem Grundstück, in Wien. Vielleicht stand hier auch solch ein imposantes Grabmal wie in Halikarnassos. Und vielleicht sind dann sogar während der ersten oder zweiten Türkenbelagerung die Türken selbst hier gestanden und haben sich gesagt: „Das sieht nicht aus wie unser Mausoleum in Halikarnassos.“ Und dann haben sie alles abgerissen und ein Loch geschaufelt, bis sie zufrieden mit den Köpfen nickten: „Ja. Jetzt sieht es aus wie unser Mausoleum in Halikarnassos.“
Und dann dachte ich mir. Schon seltsam, wie die Dinge in der Welt ihren Lauf nehmen.

Ich aas:
1 Mohnflesserl mit EKG

Wie Dinge so laufen

Anstaltskonservenreserve

Ich weiß nicht, warum die Nachbarin jeden Morgen schon um 7 Uhr herumrennen muss. Ich funktioniere nur, wenn ich bis 8 Uhr schlafen kann. Sooft habe ich ihr schon gesagt: „Schlaf doch länger. Dann bist du auch den ganzen Tag viel entspannter. Und leistungsfähiger.“
„Nein, nein, nein. Ich muss zur Arbeit!“
Ts. Lächerlich.

Ich bin in der weißen Anstalt. Habe mich mit Konserven eingedeckt. Rechne jeden Augenblick mit der Apokalypse. Nicht mit der globalen, aber mit der Anstaltsapokalypse. Hier rennen alle so nervös hin und her (wahrscheinlich zu wenig Schlaf). Ich befürchte, sie werden irgendwann die Ein- und Ausgänge verschließen, zuschweißen, die Fenster zunageln, sodass ich nicht mehr in den Supermarkt kann.

Ich aas:
1 EKG

Weiße Apokalypsenreserve

Aluhut mit Reis

Nun weiß ich, was los ist. Herbstdepression. Zwei Wochen regungslos im Bett gelegen und heute wieder in der Anstalt. Zwei Wochen. Und heute angejammert worden von zwei Typen. Hab nicht alles verstanden. Mein Gehirn noch immer im Ruhemodus.
Nein. Nicht zwei Wochen regungslos. Zweimal mit der Nachbarin im Auto rumgefahren. Ich habe den Tod erhofft. Fast wäre ich erlöst worden. Fast.

Beim Chinesen keine Lust zum Lesen der Speisekarte.
„Huhn, süßsauer, mit Nudeln.“
Der Chinese versteht nichts, nur die Speisekarte.
Musste Speisekarte lesen.

Deshalb ich aas:
1 Tegel mit Mangohuhn
1 Aluhut mit Reis

Aluhut mit Reis

Erkenntnis am Montag

Der Hunger trieb mich durch die weiße Anstalt. War auf der Suche nach Nahrung. In der Küche nahm ich schließlich die Dose Pfirsichhälften, die schon seit jeher dort herumstand. Jemand kam herein, ich fragte:
„Gehört das dir?“
Keine Antwort, nur Montagsmiene und Schulterzucken. Alles klar, das gehört mir.
In der Zelle fragte ich die Frau, die mir gegenüber sitzt:
„Gehört das dir?“
„Ich glaube, das gehört niemandem.“
Sie schenkte mir einen Schokoriegel. Ich, skeptisch:
„Warum?“
Wieder Schulterzucken. Seltsamer Tag. Montagsmiene. Machte mir an der Dose zu schaffen.
Die Frau, die mir gegenüber sitzt:
„Vielleicht gehört die Dose auch dem, der vor zwei Jahren aus dem Fenster gesprungen ist.“
Ich dachte mir:
„Eigentlich unfassbar, wie lange man Dinge haltbar machen kann.“

Ich aas:
1 Dose Pfirsichhälften
1 KitKat

Erkenntnis am Montag