Eisbär

(Inhaltsverzeichnis)

„Augustin?“
„Ja, Vater?“
„Ich muss dir etwas sagen.“
„Ja? Was denn?“
Vater sah mit seinem milden Lächeln aus seinem wuchtigen Vollbart heraus auf mich herab. Ich musste wohl um die acht Jahre alt gewesen sein. Er zog an seiner riesigen Pfeife, dass das Kraut knisterte, und pustete eine gewaltige Rauchwolke unter seinem breitkrempigen Spitzhut hervor.
„Augustin, mein Sohn. Du musst wie ein Eisbär sein!“
„Wirklich? Wie ein Eisbär?“
„Ja.“
„Grrrrrrrrrr!“
„Ich sage das aber aus einem bestimmten Grund, Bub. Und ich möchte, dass du dir das merkst. Dein Leben lang.“
„Grrrrrr!“
„Hör mir zu, Augustin!“
„Ja, Vater.“
„Eisbären leben in einer Welt aus Eis. Alles ist zugefroren, alles zu Tode erstarrt, eine unwirtliche Welt. Und der Eisbär, Augustin, der liebe Eisbär hat sich angepasst. Er ist selbst zu Eis geworden und hat ein weißes Fell. Er möchte unsichtbar sein. Er möchte in Ruhe leben, unbemerkt, ohne großes Aufsehen. Verstehst du mich, Junge?“
„Ja, Vater.“
„Somit wäre der Eisbär eigentlich auch der perfekte Jäger! Denn weiß auf weiß kann man ja nicht sehen. Verstehst du?“
Vater kratzte sich am Kinn.
„Der Eisbär hat aber leider ein großes Problem, Augustin. Er ist nicht vollständig weiß. Seine riesige Nase, die ist nämlich kohlrabenschwarz. Das genaue Gegenteil von weiß! Und jedes Lebewesen im Eis weiß, wenn ein schwarzer Punkt entlang kommt, verschwinde lieber, denn der ist gefährlich. Tja, das ist für den Eisbär natürlich nicht gut. So wäre es für ihn eigentlich unmöglich, zu jagen. Er könnte nicht überleben. Doch der Eisbär lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Er wendet einen Trick an, weißt du? Er hält sich bei der Jagd seine weiße Pfote vors Gesicht und verdeckt so seine schwarze Nase. Er wird wieder unsichtbar, wieder ganz zu Eis. Und überlebt.“
Vater zog noch einmal kräftig an seiner Pfeife. Wir standen im Schatten an einer Lichtung im tiefen Wald. Auf der kleinen Wiese beobachtete ich im Gegenlicht der goldenen Herbstsonne Insekten zwischen den mächtigen Blüten herumschwirren. Vater rieb sich den Oberschenkel des Fußes, den er auf einen moosüberwachsenen Stein gestemmt hatte und seufzte blinzelnd in die Sonne:
“Du verstehst das jetzt noch nicht, Bub. Irgendwann vielleicht schon.“
Mit zusammengekniffenen Augen blickte er in die Ferne und grübelte noch etwas nach.
„Na gut. Gehen wir.“
Wir machten uns auf den Weg. Vater ging mit seinem riesigen Gewehr auf der Schulter durch den Wald, ich tollte in der Nähe herum. Warf alte Tannenzapfen nach den Tieren, sprang über Steine, hüpfte in leise plätschernden Bächlein herum, schlug mit morschen Ästen auf Steine, zertrampelte Pilze. Am Weg entgegenkommende Dorfbewohner verneigten sich ehrfurchtsvoll vor meinem Vater, er grüßte sie mit erhobenem Haupte, tätschelte ihren Kindern den Kopf als würde er sie segnen. Die Bauern mit ihren Erntekörben blieben oft stehen und fragten Vater um Rat, andere Jäger pfiffen ihm aus der Ferne zu, die Mädchen machten ihm schöne Augen.
Auf einer Weide mit kurzem, weichem Gras stolperte ich und fiel mit dem Gesicht in einen Haufen Kuhscheiße. Vater half mir auf, wischte mir mit einem Büschel Gras den Dreck aus der Visage, säuberte mich mit altem Schnee und sah mich lange und durchdringend an.
„Was ist nur mit dir los.“, murmelte Vater nachdenklich.

Camp W4 – Teil II

Teil I der Geschichte

Ich lehnte mich neben dem zerstörten Zelt meiner Kollegen an einen alten Baum und versuchte, in der wärmenden Morgensonn noch etwas zu dösen. Plötzlich sah ich wie sich in dem vermurksten Haufen aus Zelt neben mir etwas regte. Einer der Jungs wurde wohl gerade wach und hatte es sehr eilig ins Freie zu gelangen. Irgendwann fand er den Reißverschluß und riss ihn auf (ans sorgsame Verschließen des Zeltes hatten sie wohl  noch gedacht, als sie stockbesoffen schlafen gingen) – das Geräusch durchschnitt die morgendliche Ruhe wie eine startende Motorsäge … das Einzige, was ich jedoch aus dem Zelt auftauchen sah, war eine Fontäne an übelriechender Flüssigkeit. Danach ein grausiger Fluch, nochmal Reißverschluß und schließlich ein Gesicht. Es war bedeckt mit Teilen der köstlichen Stelze, die wir gestern Abend beim nahen Burgheurigen verdrückt hatten. Die Rastalocken des Jungen waren vollkommen mit Kotze versaut. Der Kollege hatte nämlich versehentlich den falschen Reißverschluß, den inneren, geöffnet und bloß das Insektengitter freigelegt – im Glauben schon ins Freie kotzen zu können, verfing er sich darin…. ich dachte mir nur: „Siehst du, wenn du beim Zelten mal ein Nudelsieb brauchst, nimm einfach das Insektengitter.“

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Ich aas:
1 Ankerwrap

Schnittling

Ja, ich war bei Freunden. Die haben ein paar Kilometer außerhalb von Wien ein Haus mit Riesengarten und Schwimmteich. Sehr interessant, muss ich sagen.
Normalerweise nämlich nehme ich Pflanzen überhaupt nicht wahr… oder Tiere, nein, Tiere auch nicht. Und Menschen übrigens sowieso nie. Aber was ich sagen will: aus einer Laune heraus fand ich plötzlich diese überwältigende Pflanzenvielfalt in ihrem Garten umwerfend, im eigentlichsten Sinne des Wortes. Ich hatte richtig Lust, mich zwischen die Brennesseln zu setzen und Photosynthese zu spielen, und wild zu wuchern!
Nachdem mich die Insekten ins Haus getrieben hatten und die Hausherrin sah, wie ich schmutzig, schwitzend, mich am ganzen Körper kratzend am Wohnzimmerteppich stand, ernannte sich mich zum Pflanzenbeauftragten und bat mich, einen Bund Schnittling (Schnittlauch) aus dem Garten zu holen. Stante pede startete ich eine Expedition zum Gemüsebeet und holte das grüne Zeugs (dabei bemerkte ich neben dem Basilikum eine Reihe psychoaktiver Pflanzen – die Nachspeise würde ein Hit werden).
Zurück in der Küche sagte die Hausherrin: „Wir müssen wohl neuen Schnittlauch anbauen.“ Dann säuberte sie den Schnittlauch, den ich samt den Wurzeln ausgerissen hatte.
Und die Nachspeise war ein Hit!

Ich aas irgendwann zuletzt in der Anstalt:
1 Krapfen

Lebensrezepte

Gestern am Abend bin ich mit einer Packung Rotwein zur Nachbarin rauf, um ihr meinen Respekt zu erweisen. Sie hockte natürlich vorm Fernseher, im Bademantel, mit dem vollen Aschenbecher zwischen den Beinen.
Wider Erwarten war das Programm gar nicht mal so unamüsant. Es spielte gerade eine Dokumentation über einen Briten, der aus einem Flugzeug in die unwirtlichsten Gegenden dieser Erde springt, um dort Insekten und anderes grausiges Zeugs zu fressen. Das Lustige dabei ist sein Gesicht, das er aufsetzt, schon bevor er sich das zappelnde Getier oder das rohe Fleisch in den Mund steckt. Ich hab mich halb tot gelacht, während er sich riesige Dschungelkäfer, Sumpfschlangen, Waldfrösche, Wüsteneidechsen, blutgefüllte Eiterspinnen, einen vier Stunden alten Steppenzebrakadaver, rohes Berberkamelfleisch, Schafsaugen und Ziegenhoden reinzog. Es ist schön, wenn man solch ein klares Ziel im Leben hat.
Ich hab mir dann mit der Nachbarin auch ein Serienkonzept ausgedacht. Wir könnten gemeinsam mit dem Zug durch die Welt fahren und uns in den übelsten Bars besaufen, vom ORF finanziert. Ein Kameramann müsste uns begleiten und die Show filmen, die wir mit dem anderen Abschaum abziehen, die Schlägerein, die Streiterein, weltbewegende Lebensgeschichten, tränenreiche Freundschaftsbekundungen im Vollrausch, die vollgekotzten Scheißhäuser, in denen die Pisse knöchelhoch steht…. mein Gott, ich muss los.

Ich aas im Stüberl mit der scharfen ungarischen Kellnerin:
1 Grillhuhnsuppe
1 Schnitzel

Schneewittchens goldenblonde Sonne

Johannes, du hattest recht. Das „Kühles Blondes“, das Hoferbier, ist wirklich genießbar. Habe mir gleich noch am Samstag Nachschub besorgt und ordentlich verkostet. Nun scheint mir eine goldblonde Sonne aus dem Arsch.
Außer mich dem Suff hingegeben zu haben war ich auch noch unterwegs am Wochenende. Mit der Nachbarin. Ich nehme sie immer gerne auf Ausflügen in diverse Gastgärten mit. Nicht ihrer Gesellschaft wegen, sondern weil meine Nachbarin DAS ALLHEILMITTEL gegen diese gottverdammte Wespen- und Gelsenplage ist. Ja! ICH habe endlich eine Möglichkeit gefunden, ohne zwanzig Gelsenstiche an den Beinen im Freien zu sitzen, ohne daß Wespen mir mein Essen streitig machen! Endlich frei!
Die Nachbarin nämlich ist so eine Art Schneewittchen. Doch umgeben sie nicht die Tiere des Waldes, sondern die Insekten der Stadt. Während ich in Ruhe den Abend genießen kann, stürzt sich das verhaßte Ungeziefer, die ganze verkommene Brut auf die Nachbarin. Während ich genüßlich esse und trinke, kämpft sie um Blut und Nahrung.
Ich bin ein gern gesehener Gast in den Schanigärten – wenn ich nur meine Nachbarin mitnehme.

Heute aas ich:

Die Belange einer Brotdose

Die Belange der Menschen interessieren mich schon lange nicht mehr.

Aber die Brotdose, ja, die interessiert mich schon noch. Dardinos, eine ganz neue Persönlichkeit meiner schizophrenen Psyche, kommentiert da am Freitag ganz lapidar: „Wie wäre es mit einem ordinären Brotkasten aus Holz?“ Tja, ich dachte eigentlich, die Brotdose wäre dazu da, um das Brot wiederzufinden, wenn man es mal braucht. Damit man einen fixen Platz hat, um das Brot zu lagern. Um nicht dreimal täglich eine Expedition starten zu müssen, weil man das Brot schon wieder verlegt hat. Denn Frischhaltefunktion habe ich bei meiner Brotdose noch keine beobachtet.
Dardinos, das Brot einfach in die Brotdose legen und das wars? Kein Sackerl? Wie schützt du dann das Brot gegen Übergriffe durch Insekten? Legst du auch etwas Gift in die Brotdose? Oder ist deine Brotdose schall- und luftdicht?

Ich aas:
1 Ei- und Wiesenbrot
1 Früchterl

Die Kugelschreiberbranche und Liechtenstein

Normalerweise bringe ich meinen täglichen Käse immer nach, wenn ich mal nicht bloggen kann. Heute jedoch erledige ich meine Pflicht bereits in Vorarbeit.
Ich werde mich morgen nämlich nicht melden können. Bin auf Exkursion mit dem Herrn der Kugelschreiber. Ja, da staunst du, was? Wir fahren nach Liechtenstein zum Shoppen. Jaja. So ist das. HA! Um 5 Uhr morgens mit seinem Ferrari von Wien nach Liechtenstein, am Abend mit dem Flugzeug nach Hause. Ist das nicht toll?

Ich gehe deswegen schon den ganzen Tag im Kreis, grinse dämlich vor mich hin und habe verstärkten Harndrang. INS AUSLAND! Stell dir vor! LIECHTENSTEIN! Warst du schonmal dort? Ich nicht! Deshalb habe ich mir heute einen Reiseführer gekauft, einen Kompaß, Zahnstocher, ein Überlebensbuch für im Urwald Verschollene und Insektenspray. Einen Safarihelm mit Moskitonetz, Muscheln zum Eintauschen, Kondome, um Regenwasser zu sammeln – einen riesigen Hartschalenkoffer, in den ich meinen verstorbenen Rottweiler Harry und fünf Doppelliter Rotwein lege. Mein McGuyver-Feitl ist frisch geschliffen, poliert, mit Waffenöl eingeschmiert.

Ich denke, ich werde mich nicht mehr hinlegen. Bin sowieso zu aufgeregt wegen der Reise.

Ich esse:
jetzt nichts, aber dafür morgen in Liechtenstein – etwas von den Eingeborenen? Das wäre schön.

Oh! Wichtige Frage: gibt es auf diesen Kurzflügen Rotwein? Weißt du das?

ELENDIG!!!!

Wenn die Nachbarin ihre Freier vögelt, kommt es mir vor, als würde über mir in der Decke eine Basketballmeisterschaft stattfinden.

Gestern wurde es mir zuviel und ich rammte mit aller Kraft den Besenstiel an die Decke – nicht eingedenk, daß die Wohnung eine abgehängte Gipsdecke hat. Weil das Loch schon mal da war, wollte ich gleich wissen, wie hoch die Wohnung eigentlich wirklich ist. Nachdem mehr als die Hälfte des Besenstiels in der Decke verschwunden war, schreckte ich erschaudernt zurück. Seltsame Geräusche in der Decke…..

Ein Klopfen begann. Ich ahnte noch nicht, was ich in der tiefen Dunkelheit der Decke erweckt hatte. Unter diesem Loch durfte ich jedoch nicht verweilen. Zu schnell wurde aus dem erst leisen Klopfen ein kampfeslustige Getrommel. Ihre grausame Sprache vermag ich nicht zu verstehen, doch verspüre ich ihren Zorn. DA! Die ersten Insekten stürmen aus dem Loch und verteilen sich auf der Decke und drängen auf die Wände zu. Nur mit großer Mühe gelingt es mir, sie zur Strecke zu bringen, bevor sie die schützenden Verstecke des Wandverbaus erreichen.
Doch die Flut der Gegner, die aus diesem Loch gekrochen kommen, will nicht enden. Ich schnappe mir die Fliegenklatsche, Handschuhe, Schibrille und mein Alphorn, mit dem ich mit aller mir gegebener Kraft das alte Lied der Bedrängnis blase. Hilfe, ich brauche Hilfe…..

Sie haben das Wohnzimmer und die große Vorhalle genommen.
Hier in der Speisekammer versuche ich standzuhalten. Sie kommen…..

Und nichtsdestotrotz esse ich:
1 Stummel Brot
1 Dose Aufstrichmix
1 Schachtel Gouda
1 Scheibe Neuburger

Die braune Druckstelle

Die braune Druckstelle könnte mir fast die Laune versauen.

Ich mußte aus dem Apfel eine braune Druckstelle schneiden! Diese verfaulte Druckstelle erinnert mich an meine Nachbarin, die mich oft – zu oft – im Stiegenhaus anlabert. Gestern hat sie mir zum xten Mal erklärt, wie sehr sie Insekten verabscheut und daß sie täglich mehrere erledigt. Um mir Einzelheiten zu ersparen, sagte ich etwas schroff „Sie arrogantes Säugetier, Sie!“ und hüpfte in Gottesanbeterin-Haltung die Stiegen hoch.

Sie redet übrigens nur mit mir und mit sonst keinem. Die ist wohl nicht ganz dicht.

Ich esse:
1 Schinken-Baguette
1 Apfel ohne Druckstelle