Chefe Cholera

Ich bin nicht in der Anstalt, um irgendetwas Bestimmtes zu tun. Scheinbar genügt es, dass ich anwesend bin. Niemand fragt, wie es mir geht, wo wir stehen oder wann ich fertig bin. Niemand. Ich erinnere mich, dass ich zu Beginn ein Gespräch mit einem dicken kleinen Typen mit luchsartigen Haarbüscheln in den Ohren hatte. Er hat mir ganz aufgeregt und enthusiastisch meinen Aufgabenbereich erklärt. Ich habe zwar kein Wort verstanden, weil er so herumgehudelt hat, ich wollte aber nicht unhöflich sein und nachfragen. Er hat auch sehr cholerisch gewirkt, darum werde ich ihn irgendwann in die Weltuntergangsmaschine stecken müssen. Spätestens dann, wenn er wirklich einmal kommen und fragen sollte, wann ich fertig bin und ich ihm sagen muss, dass er mir das alles nochmals erklären soll. Ich habe schon mit der Putzfrau über ihn geredet… ich weiß nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind… aber sie hat mir interessante Dinge aus seinem Mistkübel gezeigt. Sie hat das kommentiert mit: „Chefe imma Terrorist, in alle Firma.“

Ich aas:
1 Packung Hummus

Agaffine Sitzung #2

„Und können Sie die Stimmen auch… naja… sehen, Matla?“
„Hmmm, ja. Eigentlich schon… also mehr oder weniger…“
„Und wie würden Sie sie beschreiben?“
„Hm, ja… gute Frage… fangen wir mal mit den Herrn Rudolf an. Der sieht aus wie der Kellner in einem Wiener Kaffeehaus. Lang, dünn, mit dem typischen schwarzen Anzug, weißes Hemd… Umstandsmeier… ja, dann der Furzerjohannes. Der ist wiederum mehr wie ein Hobbit. Klein und dick… und hat so Riesenfüße mit vielen Haaren drauf, sodass er gar keine Schuhe mehr tragen kann… er hat wie ich so eine schreibende Zwangsneurose… Sonja ist… eine Pornosau. Ja! Total versaut mit großen Titten… sehr gute Bauchtänzerin… trägt genietete, nach Sperma riechende Lederjacken und lacht gerne. Brunnhilde ist mehr die Big Mama, die nie lacht. Mit Flügeln am Kopf… statt der Ohren… weiß auch nicht, wieso. Wenn man der falsch kommt, zerquetscht sie einen mit ihrer gewaltigen Masse… Damenbart, schlecht rasiert, aber trägt gerne Tigerunterwäsche. Bob… hm… ist eher der korrekte Typ… fette Haare mit Linksscheitel… Hosenträger, Hornbrille, Moustache… kleine Schuhgröße, aber dafür große Augen, riecht nach Pitralon und mag japanische Zeichentrickfilme. Vanacoud sieht wie ein Kasperl aus. Lange Nase, abstehende Ohren, Hasenzähne, kleine Augen, leichter Buckel. Rote Kappe verkehrt herum am Kopf. Aber am schlimmsten ist knofl. Die einfach nur klein, dünn und blöd. Sieht eher aus wie eine alte Krautstaude.“
„Gut. Halten wir das fest und schlafen wir darüber.“

Ich aas:
1 Tube Agaffin, denn die Stimmen verursachen auch Verstopfung

Agaffine Sitzung #2

Nebenstelle

Irgendwas stimmt nicht.
Jemand steht neben mir.
Ein Typ.
Was soll ich nur tun?
Sehe ich nicht hin, sehe ich seinen Schatten. Sehe ich ihn an, sehe ich ihn nicht.
Suche ich ihn nicht, steht er hinter einem Eck oder hinter der Tür, suche ich ihn, ist er woanders.
Wenn ich spreche, höre ich seine Stimme. Versuche ich zu verstehen, was er sagt, ist er stumm.
Denke ich an etwas anderes, berührt er mich. Will ich ihn fassen, ist er nur Luft.
Nehme ich das Handy zum Ohr, ruft er mich, wähle ich eine Nummer, hebt niemand ab.
Vielleicht ein Geist.
Vielleicht der Eiergeist.
Ich weiß nicht.

Ich aas:
1 Haufen Tomate
1 Ei
1 Käse
2 Brot mit Liptauer

Törnbericht Kykladen 2009 – Teil VI – Shit, shit, shit!

>> zum Anfang dieses Törnberichts

In den Kommentaren des letzten Beitrages habe ich mit lizzy alternative Enden ausgearbeitet. Doch sie alle wären nicht so schlimm, wie das, was tatsächlich passiert ist. So geht es weiter:

Während des ohnehin schwierigen Anlegemanövers im neuen Hafen von Mykonos wurde ich abgelenkt.
„Maaaatlaaaaa! Uhuuuuuuu!“, hörte ich von der Mole zugerufen.
Es war die Nachbarin. Wie geplant. Doch standen neben ihr zwei weitere Menschen, die ich nicht erwartet hatte. Meine Mutter und ein kleiner dunkler Typ mit Sonnenbrille, Schnauzbart, Strohhut und Unterleiberl übern Bierbauch. Ich konnte es nicht fassen.
„Sag mal bist du verrückt? Du kannst doch nicht irgendwelche Leute mitanschleppen!!“, plärrte ich der Nachbarin quer über das Hafenbecken entgegen.
„Zwei Meter!“, rief ein Crewmitglied.
„Ich bin nicht ‚irgendwelche Leute‘, Augustin Matla!“, schrie meine Mutter mit leicht flatternden Augenlidern und klopfte angespannt mit dem Fuß auf den Asphalt.
„Ein Meter!“, rief bereits etwas nervös das Crewmitglied, dem ich angeordnet hatte, mir den Abstand zur Mole zuzurufen.
„Shiiiiiiiiiiit!“, kreischte ich und gab volle Kraft zurück. Fast hätte ich im heißen Dampf der kochenden Emotionen die Scheißmole übersehen.
„Überraaaaschuuuung, Matla!“, johlte die Nachbarin inmitten einer immer größerwerdenden Menschenansammlung aus anderen Seglern und griechischen Eingeborenen, die interessiert das Hafenkino genossen.
„Shit! Shit! Shit!!! Wir hauen ab! So! Wir fahren wieder! So! Alles zurück! Wir fahren wieder! So! Schluß!“, entschied ich polternd. Sollten die drei doch auf der Mole verrecken! Wer war eigentlich der Gartenzwerg neben meiner Mutter? Ich zeigte ihnen den Mittelfinger, zuerst mit der einen Hand, danach mit der anderen Hand, dann mit beiden Händen und drehte ab.
Nur das Gutzureden der Crew ließ mich dann doch noch umdenken. Alles halb so schlimm, es ist doch deine Mutter, sieht doch eh nett aus und so weiter. Ich zog mein T-Shirt etwas über den Kopf und zündete mir im Windschatten zwischen Stoff und Haut eine Zigarette an – nur so gehts an Deck.
Also gut. Ich konzentrierte mich, so gut es ging, auf das Anlegemanöver, beachtete die Schreie und Drohgebärden der wutentbrannten Nachbarin und meiner Mutter nicht weiters, und ging, nicht chaotischer als sonst auch, längsseits an die Mole.
Nach Beendigung des Anlegetreibens flüsterte ich rasch meinen Freunden zu: „Lenkt sie ab. Ich komm gleich“ und verzog mich unter Deck. Während ich ein paar gekünstelte Begrüßungsfloskeln von oben hörte („Willkommen, hähähä.“), schnappte ich mir die offenen Flasche Weißwein und zog mir ordentlich was rein. Machte noch ein paar Züge an der Tschick, überlegte angestrengt, wer der kleine Dunkelhäutige sein könnte, ob ich schon einmal gesehen hatte, und stapfte wankend wieder nach oben.
„Wie schön, euch zu sehen!“, rief ich den drei Neuankömmlingen freudestrahlend entgegen und öffnete meine Arme wie Jesus, der die Aussätzigen segnen wollte. Ich stieg über die Reling an Land und begrüßte zunächst einmal Mutter. Kuß auf die linke Wange, Kuß auf die rechte Wange und ins Ohr geflüstert: „Wer ist der kleine Scheißer?“. Als Antwort erhielt ich von ihr einen leichten Fauststoß in den Magen. Mmmpf.
Dann begrüßte ich meine Nachbarin mit einem Handschlag. Verachtung und Tod sprühten mir aus ihren Augen entgegen.
„Sag mal, wolltest du jetzt wirklich wieder wegfahren?“, grollte sie.
„Nein nein. Natürlich nicht. Weißt du, ich wollte mich nur für die tolle Überraschung revanchieren und dich ein bißchen schrecken. Ist mir wohl gelungen. Hähä.“, antwortete ich.
„Okay.“, sagte die Nachbarin erleichtert, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab mir einen Kuß.
Ich wischte mir den Mund mit den verdreckten Hemdsärmeln ab und ging zu dem Gartenzwerg, den ich noch nie im Leben gesehen hatte. „Und wer bist du vielleicht?“
Er sah mich nur an.
„Habla español! Él no entiende el alemán.“, fiel meine Mutter ein, „Se trata de Jorge, Mexicano. Él es mi cocina.“
Übersetzt: „Sprich Spanisch! Er versteht kein Deutsch… Das ist Jorge, Mexikaner. Er ist mein Koch.“
Es war noch immer ziemlich heiß, ich war müde und hatte Hunger. Ich konnte diese Situation nicht mehr mit vollem Bewußtsein nachvollziehen.
„Aha. Gut. Schmeißt eure Sachen aufs Boot und gehen wir was trinken. Dann können wir alles besprechen. Das Boot und wie alles geht und wer wo schläft und wer wieder nach Hause fliegt. Und wen wir nach Mexiko in die Wüste jagen.“, sagte ich leicht benommen, hockte mich derweilen unter eine schattige Palme und versetzte mein Gehirn auf Standby, während sich die Menschenmenge wieder auflöste.

Kommen sie wieder und versäumen sie nicht die nächste Ausgabe dieses Törnberichts.

>> weiter zu Teil 7

mytoern.net

Öffentlich fährt das Salzgurkerl

Ich beobachte mich. Seit gestern schaue ich mir zu und ich bin zu dem Schluß gekommen, daß an meinem traurigen Zustand eine dunkle Macht schuld ist. Und eine Manifestation der dunklen Macht sind die Wiener Linien (man denke nur einmal an Lord Entwader), welche ich leider benutzen muß, seit ich kein Auto mehr habe. Und du kannst dir ja ausmalen, daß U- und Straßenbahnfahren für mich, der ich doch so wenig Erfahrung  mit öffentlichen Verkehrsmitteln und sozialem Kontakt habe, sehr schwer ist. Darum versuche ich, meine Sinne zu betäuben, wenn ich mich zwischen den Menschen bewege. Mit iPod die Ohren, mit Buch die Augen, mit Mundschutz Geschmacks- und Geruchssinn. Funktioniert ganz gut. Aber nur bis zu einem gewissen Level. Niemand darf sich außerhalb meines Sichtbereiches befinden (schon gar nicht HINTER mir) und niemand innerhalb meiner Reichweite.
Das war gestern nicht so. Ich weiß nicht warum, aber die Transportmittel waren gestern gesteckt voll. Und zwar so voll, daß ich von Menschen berührt wurde. Und obwohl ich den iPod mit voller Lautstärke laufen hatte und mir das Buch ziemlich nahe vor die Augen hielt, konnte ich mich nicht konzentrieren. Ich hatte so ein Gefühl, als würde jeden Moment irgendetwas passieren. Nicht etwa, daß die Straßenbahn in einem gigantischen Feuerball explodieren würde oder endlich die Sintflut kommen und die U-Bahntunnels fluten könnte. Nein, nein. Es war mein Instinkt, der die Musik in meinen Ohren und das Buch vor meinen Augen verschwinden ließ. Ich war auf der Hut. War auf jede nur mögliche Anomalie in dieser schleimigzähen Menschenmasse gefaßt. Auf plötzliche Messerattacken, Mütter, die ihr Baby beschützen wollen und die Pumpgun aus den Kinderwagen ziehen, Obdachlose, die mir in den Kragen kotzen, Regierungsbeamte, die mich exekutieren müssen, Schwarzkappler, die eine Fahrkarte wollen, Taschendiebe und so weiter. Alle meine Sinne standen Wache.
Doch die Fahrt vom Rattenloch zu mir nach Hause dauert fast eine Stunde. Und eine Stunde immer am Sprung sein, ständig bereit zu töten, das kostet Kraft. Deshalb habe ich dem Mechaniker gesagt, er soll mein Auto reparieren. Es war gar nicht schwer, etwas zu finden, das ich ihm an Stelle von Geld geben kann. Nächste Woche kann ich wieder mit dem Auto fahren. Sollte es mir dann nicht bald besser gehen, liegt der Zustand an etwas anderem. Die Kontemplation jedenfalls geht weiter.

Ich aas in der hoffnungslos überfüllten Cantina des Rattenlochs:
1 Mohnding mit Käse und Senf
1 Salzgurkerl
1 Nestea

Kleine Stücke zum Krochn

„Bam, Oida!“, „Fix, Oida“ – das höre ich momentan ziemlich oft! Woran liegts? Ist das neue Mode? Gibt es Musikidole, die so sprechen? Oder gehört das zu einer Fernsehserie? Ein Film? Oder gar eine neue Sprachrevolution ausgelöst durch Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Proletenkinder? Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, daß es mich bis in den Schlaf verfolgt. Ich habe heute geträumt, daß ich etwas überreagierte, als ich auf offener Straße mit „Krochn, Oida“ angesprochen wurde. Ich bückte mich, öffnete eine Kiste und zog eine brandneue, rote Motorsäge hervor, mit der ich dem Kerl zuerst in der Höhe des Bauchnabels eine kleine Öffnung verpaßte, aus der allerhand Gedärm herausquoll (es zuckte leicht), und ihn dann fragte: „Was hast du gesagt?“ Er antwortete: „Nau fix.“ Daraufhin habe ich den Rest von ihm mit heulender Motorsäge in kleine Stücke geschnitten. Ich erinnere mich sogar noch, wie die Säge leicht ins Stocken geriet, als sie sich in den Knochen der Wirbelsäule verhedderte. Und ein Teil des rechten Ohrs, das sich kurz in der Motorsäge verfangen hatte, ist mir aufs Auge geklatscht. „Nau fesch, Oida“, dachte ich mir leicht amüsiert.

Eine Lösung für die Milchknappheit nach der Apokalypse habe ich bereits erdenkt (Bericht folgt), daher kann ich ruhigen Gewissens Topfen und Käse essen:
1 Topfen
1 Brot
1 Käse